Julia fragt: „Fährt dein Zug noch?“ Ich bin entspannt, weil bislang noch keine Pushmeldung kam, jetzt schaue ich aber doch mal in die Navigator-App. Und entdecke: „Mehrere Wagen fehlen“. Mist. Zwischen Esslingen und Stuttgart ist der Fahrplan seit Wochen baubedingt halbiert, wenn der Zug jetzt auch noch halbiert wird, besteht wohl keine Chance, reinzukommen. Also beeile ich mich, um einen Zug früher zu kriegen. Woche vier des Modellversuchs „wir lassen zwischen Esslingen und Stuttgart nur noch jeden zweiten Zug fahren, setzen keine Ersatzbusse ein und schauen einfach, was passiert“ verläuft genauso chaotisch wie die ersten drei Wochen… Im Bahnhof angekommen, werde ich von Gleis 6 auf Gleis 8 geschickt, um dort zu erfahren, dass man jetzt doch auf Gleis 3 rennen muss. Meine Wut auf die Bahn ist schon jetzt groß – dabei weiß ich noch gar nicht, dass der RE 5 gleich wieder das Unmögliche möglich machen und auf 10 Kilometern Strecke 20 Minuten Verspätung sammeln wird... Endlich in der Stuttgarter Großbaustelle angekommen, fasst es die Italienerin hinter mir treffend zusammen: „Incredibile“.
Mein Anschluss-IC nach Nürnberg steht laut Anzeigentafel schon bereit. Das geschulte Eisenbahnauge erkennt natürlich, dass es sich beim bereitstehenden Zug mitnichten um einen Intercity handelt. Bahn fahren am Stuttgarter Hauptbahnhof ist was für Profis. Die Digitalanzeigen werden hingegen von Laien programmiert.
Nach einem Diensttermin in Röthenbach geht es am frühen Abend zurück nach Nürnberg. Ich freue mich mal wieder über das Deutschland-Ticket: Statt Tarifwaben zu studieren – oder einfach im Bahnhof zu bleiben –, nutze ich die Stunde Aufenthalt, um mit der automatischen U-Bahn und dem Bus eine Runde durch die Stadt zu fahren. Nürnberger Bratwürste mit Kraut gibt’s auch, dann begebe ich mich zurück zum Bahnhof und betrete den RE Richtung Plattling.
„Sehr geehrte Fahrgäste, jetzt passiert das, was ich schon befürchtet hab: Der verspätete ICE will uns jetzt doch noch überholen, weil dos der gonze 5 Minuten schneller in Plattling ist". Ich habe den niederbayerischen Sprachraum erreicht.
Die Verspätung ist kein Problem, der Anschluss in Plattling wird trotzdem erreicht. Vom neuen agilis-Mireo wechsele ich zum in die Jahre gekommenen Waldbahn-Regioshuttle. Leider ist es schon dunkel, ich kann mich aber noch erinnern, dass die Waldbahn nach Zwiesel durch schöne Landschaft führt.
Michael und Julian holen mich am Bahnhof Zwiesel ab, damit ist die Reisegruppe Bahn Banda komplett – Marco kann dieses Jahr leider nicht dabei sein. Bei den bisherigen Reisen war er immer dabei. Wir rekapitulieren mal kurz, welche das waren:
2019: Wien – Hardberg (Dampf-Sonderzug)
2021: Graz/Bad Gleichenberg/Neusiedler See/Höllental/Rax
2022: Innsbruck/Lienz
2023: Vöcklabruck/Linz/Stern&Hafferl
2024: Rom/Umbrien/Ambruzzen
Am nächsten Morgen geht’s von Zwiesel mit der Waldbahn weiter. Es wird extra ein zweiter Regioshuttle für uns angehängt, wir haben sozusagen einen Privatzug für die kurze Fahrt nach Bayerisch Eisenstein.
Der Grenzbahnhof Bayerisch Eisenstein ist ein ganz besonderer Bahnhof: Der längste Bahnsteig Deutschlands, parallel dazu ein ebenfalls sehr langes Bahnhofsgebäude, durch das eine Grenze verläuft, markiert durch einen roten Strich. Deshalb hat der Bahnhof zwei Postanschriften (Bahnhofstraße 54, Bayerisch Eisenstein und Debrník 30, Železná Ruda). Beim Bau des Bahnhofs war es die Grenze zwischen Königreich Bayern und Kaiserthum Österreich, heute ist es die Grenze zwischen Bundesrepublik Deutschland und Tschechischer Republik. Als der östliche Bahnhofsteil noch zur CSSR gehörte, war hier Eiserner Vorhang und gar kein Grenzübertritt möglich. Bei meinem ersten Besuch in Bayerisch Eisenstein – Schüler-Ferienticket im Sommer 2000 - standen noch Zöllner auf dem Bahnsteig. Heute muss man nicht mal mehr den Ausweis zeigen. Eine tolle Erfindung, dieses Schengener Abkommen.
Wir genießen noch den Bahnhof des Jahres 2017, das 3D-Modell des Bayerischen Waldes und verschiedene Ausstellungen im Bahnhofsgebäude. Im 2. Obergeschoss gäbe es noch eine Modelleisenbahn, im Erdgeschoss das schöne Bahnhofsrestaurant und nebenan das Localbahnmuseum - aber die tschechischen Züge fahren nur alle zwei Stunden, wir müssen uns leider schon vom ersten Tageshighlight verabschieden.
Der tschechische Zug ist ein Fernzug, der bis nach Prag durchfahren würde. Wir sichern uns ein bequemes Abteil im hintersten Wagen - damit man in engen Kurven die Lok fotografieren kann. Aber erstmal fotografieren wir sie auf dem Bahnsteig. Ein knallrotes Prachtexemplar: Taucherbrille, Baujahr 1980. Die Lok hat schon einiges erlebt und ihr Heimatland, die Tschechoslowakei, überlebt.
Die meisten anderen Fahrgäste sind Wanderer. Nachdem ich bei der Moldau-Radreise im September Radfahren im Böhmerwald auf die Bucketliste aufgenommen habe, ergänze ich da mal gedanklich Wandern im Böhmerwald. Es ist einfach richtig schön hier.
Auf der tschechischen Seite wird gepoltert, das Gleis ist nicht mehr verschweißt. Schon auf dem Geländemodell im Bahnhof hatten wir gesehen: Bayerisch Eisenstein ist nicht der Scheitelpunkt. Es geht auf der tschechischen Seite noch weiter bergauf, bevor der Zug in einen Scheiteltunnel eintaucht. Die Kurven sind jetzt enger und die Anstiege steiler als auf der deutschen Seite - oder die tschechische Lok ist einfach untermotorisiert. Gemächlich schlängeln wir uns durch den Regen im Regental, umrahmt vom bunten Herbstlaub des Böhmerwalds. Wir erfreuen uns an der österreichischen Bahnhofsarchitektur und dem tschechischen Komfort. Aus dem letzten Wagen fotografieren und filmen wir die Strecke. So schön kann Bahnfahren sein.
Nach der Ankunft in Klatovy wechselt der Zug nach Prag die Lok. Wir hingegen wechseln den Zug: Mit einem Regioshuttle, der früher bei der Bodensee-Oberschwaben-Bahn unterwegs war, schlängeln wir uns durch das Böhmerwald-Vorland nach Horažďovice. Die Bahnhofsgebäude sind beeindruckend schön und gut in Schuss. Die Streckenhöchstgeschwindigkeit beträgt gemütliche 65 km/h. Um die Steigung auf mehr Strecke zu verteilen, fahren wir ein Seitental aus - sozusagen das St. Jodok des kleinen Mannes.
Im Zug von Horažďovice nach Strakonice gibt es den ersten Kaffee des Tages. Die Verkäuferin der mobilen Minibar ist supernett, ihr Kaffee schmeckt so lala. In Strakonice sehen wir, dass es im Bahnhof wider Erwarten doch ein gutes Café gegeben hätte… Nächstes Mal.
Der nächste Zug ist wieder ein aus Deutschland übernommener Regioshuttle. Der Aufkleber „Videoüberwachung“ wurde beim Verkauf nach Tschechien nicht übersetzt.
Der Zug fährt maximal 50 km/h und ist trotzdem wieder gut gefüllt. Es kann eigentlich nicht sein, dass der Zug gegenüber dem Auto konkurrenzfähig ist, trotzdem bevorzugen offensichtlich viele Einheimische die Bahn – oder haben keine Alternative.
Beobachtung beim Bahnfahren durch den Wald: die Bäume direkt neben dem Bahngleis treiben weiter unten seitlich aus, während bei den hinteren Baumreihen erst relativ weit oben die ersten Äste aus dem Stamm ragen, weil dort das Sonnenlicht nur von oben kommt.
Höhepunkt der Strecke ist der Bahnhof Kubova Huť, der ist nämlich mit 995 Metern über Meereshöhe der höchstgelegene Bahnhof Tschechiens. Da jede Menge Ausflügler aus- und einsteigen, haben wir genug Zeit, um kurz auszusteigen und Fotos zu machen. Die Sonne scheint und es ist gar nicht so kalt wie befürchtet. Der nächste Haltepunkt liegt mitten im Wald und besteht aus einer kleinen Holzhütte. Die einzige Anbindung an den Rest der Welt ist ein Wanderpfad. Natur pur. Das Sonnenlicht bricht durch das nasse Laub und beleuchtet das Moos auf dem Waldboden. „Eine tolle Strecke“, sagt der Michael Müller Reiseführer über die Bahnstrecke, die wir gerade fahren. Recht hat er. Wie gut, dass wir spontan umgeplant haben.
Tschechien ist überhaupt das perfekte Land zum Bahnfahren. Das Streckennetz ist sehr dicht, es gibt viele schöne Strecken, die Züge sind robust, komfortabel, zuverlässig. Und an vielen Bahnhöfen gibt es urige Lokale mit Bier vom Fass. Bei der Radtour im August dachte ich mir: hier muss ich unbedingt auch mal mit der Bahn fahren! Jetzt fahre ich hier mit der Bahn und denke mir: ich muss mit dem Fahrrad auch nochmal herkommen! Böhmen ist ein Traum, und der Böhmerwald setzt dem ganzen die Krone auf.
Zwischen Volary und Cerna v Posumavy müssen wir auf den Schienenersatzverkehr umsteigen. DB Navigator und ÖBB Scotty wussten das, nur die App der tschechischen Bahn wollte es ebenso wenig wahrhaben wie wir. Zwei Bauzüge beweisen uns, dass an der Bahnstrecke tatsächlich gebaut wird.
Der Iveco-Bus bringt uns flott über die kurven- und kuppenreiche Straße. Die Blicke auf den Moldau-Stausee im herbstlichen Sonnenlicht sind ein Traum. Zum Glück komme ich hier nochmal mit dem Fahrrad her, ich muss am Moldau-Radweg ja noch eine Lücke schließen.
In Cerna wartet ein Zug von GW Train auf uns. „Salzgitter 1989“ steht auf der Herstellerplakette. Wieder ein gebrauchter Zug aus Deutschland, diesmal Baureihe 628. In Schleswig-Holstein nannte man die sehr langsam beschleunigenden Züge „Wanderdüne“. In Tschechien haben sie nicht - wie in Deutschland einst üblich - Trieb- und Steuerwagen gekoppelt, sondern zwei Triebwagen. Die Motorisierung ist also verdoppelt, trotzdem lässt die Beschleunigung zu wünschen übrig...
Vom Moldau-Stausee über Krumau an der Moldau nach Budweis an der Moldau kürzt die Bahnstrecke viele Moldauschleifen ab, mäandriert aber ihrerseits an böhmischen Bächen entlang. Maximalgeschwindigkeit mal 50, mal 60 km/h. Eilig haben es die böhmischen Bimmelbahnen nicht, aber sie sind gut gepflegt und sehr sehenswert.Um rechtzeitig zum Abendessen in Gmünd zu sein, verzichten wir auf einen Aufenthalt in Krumau. Ich war ja erst vor eineinhalb Monaten hier und weiß: das ist eine der schönsten Städte Europas, die sollte man unbedingt mal gesehen haben.Zum ersten Mal in meinem Leben in Budweis war ich vor sechs Wochen. Damals war es zur Mittagszeit und mit dem Fahrrad, da erschien es mir unpassend, das bekannteste Exportprodukt der Stadt zu probieren. Heute, abends und mit der Bahn, gönnen wir uns ein Budweiser. Ich hatte auf eine typisch tschechische Bahnhofsbar mit Bier vom Fass gehofft, leider gab es nur einen Laden mit Dosenbier. Aber auch mit einem Budweiser aus der Dose lässt sich die Bahnfahrt mit dem Regio-Panther genießen. Am Horizont geht hinter dem Böhmerwald die Sonne unter. Wir fahren jetzt auf der historischen Franz-Josefs-Bahn Richtung Südosten. In České Velenice müssen wir ein letztes Mal heute den Zug wechseln, ein ÖBB-Desiro wartet auf uns. Auch der achte und letzte Zug des Tages ist pünktlich.
Auf der Grenzbrücke wird der Hauptschalter umgelegt und das Stromsystem gewechselt. Gleich danach erreichen wir Gmünd. Tagesziel erreicht. Das Thema Eisenbahn ist für heute abgeschlossen, jetzt kommt der ultimative Kulturbruch: wir spazieren durch die kalte Dunkelheit zur Avia-Tankstelle am Ortsrand. Im angeschlossenen Restaurant werden wir Abendessen, im benachbarten Motel werden wir übernachten. Im Zeitschriftenregal vor allem Pornos und Autozeitschriften, in der Nase Benzin, über dem Tisch eine Corvette, über dem Bett ein Mercedes. Für uns gilt jetzt, was auf der Motelfassade steht: ab ins Bett!
Tag 2 startet bei Minusgraden und mit einer großen Überraschung: Michael sieht einen seiner neuen Südtirol-Züge. Eigentlich steht der Tag aber nicht im Zeichen neuer Züge. Ganz im Gegenteil: heute ist der Tag der Waldvierteler Schmalspurbahnen. 1903 fuhr der erste Zug von Gmünd nach Groß-Gerungs. Der erste Zug, der am heutigen Samstag die Strecke entlangfährt, ist ein 320 PS starker Jenbacher Triebwagen, in den steigen wir ein. „Sparschweine, äh Fahrscheine bitte!“ Der Zugbegleiter Michael ist ein lustiger Geselle. Nach der Sparschweinkontrolle verschwindet er in der Fahrerkabine und verwandelt sich in einen Lokführer. Während er den kleinen Triebwagen Richtung Groß Gerungs steuert, meldet er sich über den Lautsprecher mit allerhand Informativem und Unterhaltsamem: „Der Triebwagen hat eine Klimaanlage - das heißt: Fenster aus, Fenster zu - und keine Toilette. Leider.“ Er erklärt auch, warum er vor Bahnübergängen das Signal Achtung betätigt: „Wir wollen ned, dass es scheppert“. Er führt beide Töne vor, mit denen der Zug Musik machen kann.
Hörbar stolz ist er auf die Streckensanierung in den letzten Jahren. Die letzte verbliebene Langsamfahrstelle von 25 km/h wird nächstes Jahr ausgebessert. In Steinbach - Bad Großpertholz gibt es fünf Minuten Aufenthalt, um einen Blick auf die Erzeugnisse des Schwammerl-Schnitzers zu werfen. Danach folgt das Highlight der Strecke: der „Waldviertler Semmering“ mit bis zu 28 Promille Steigung und zwei Tunnels. Am höchsten Punkt der Strecke wird auf 806 Metern über dem Meer die europäische Wasserscheide gequert.
Am Bahnhof Langschlag steht eine Dampflok, die früher auf der Strecke unterwegs war. In einem Güterwagen ist ein kleines Eisenbahnmuseum untergebracht. Natürlich macht die Schienenkreuzfahrt hier wieder ein paar Minuten Aufenthalt, der Inhalt des Triebwagens ergießt sich in den Güterwagen. Nach der Museumsbesichtigung kann die Fahrt weitergehen.
Zur Verabschiedung in Groß Gerungs weist Lokführer Michael noch auf
die Social Media Kanäle der Bahn hin: „Wenn Sie Fotos hochladen,
schreiben Sie den Hashtag Waldviertelbahn dazu. It helps a lot.“
Wir
besichtigen in der Endbahnhofgemeinde das Museum „Mensch und Bahn“ im
historischen Gütermagazin und spazieren für einen Kaffee ins
Ortszentrum.
Auf der Rückfahrt höre ich den Audioguide zur Waldviertelbahn und erfahre so noch ein bisschen mehr über die Geschichte der Bahn. Vor dem Fenster traumhaft sonniges Herbstwetter und immer wieder Rehe, die sich vom Pfeifen des Triebwagens aufschrecken lassen.
Einen längeren Stopp gibt dieses Mal in „Bruderndorf Wasserstation“. Der Schuppen neben dem Bahnhof wurde auf den Namen „Mariefred“ umgetauft. Lokführer Michael erläutert den Hintergrund: Der Film „Gripsholm“ wurde nicht am gleichnamigen Schloss in Schweden gedreht, sondern im Waldviertel. Die Schmalspurbahn, die ins schwedische Mariefred dampft (und die ich bei meiner ersten Interrailreise gefahren bin), wurde folglich auf der Waldviertelbahn nachgestellt - samt umlackierten Waggons und umbenannten Bahnhof.
Zurück in Gmünd
lesen wir noch weitere spannende Infotafeln zur Geschichte der Bahn,
dann laufen wir zum Mittagessen ins hübsche Stadtzentrum. Das vom
Lokführer empfohlene Restaurant hat keine freien Plätze mehr, unser Plan
B heißt Taverna Perikles. Drin bin ich verwirrt: bin ich in einem
griechischen Lokal oder in einer Londoner U-Bahn?
Gmünd wurde
nach dem 1. Weltkrieg geteilt: der Großteil der Stadt liegt seitdem in
Österreich, der Bahnhof - nun unter dem Namen České Velenice - in
Tschechien. Auf der österreichischen Seite musste also ein neuer Bahnhof
gebaut werden, und um den zu erreichen, wurde für die Schmalspurbahn
ein Schienendreieck errichtet. Zwischen den Bahnhöfen Gmünd Böhmzeil und
Gmünd fuhren die Schmalspurzüge als Korridorzüge über tschechisches
Gebiet, samt Fahrtrichtungswechsel in České Velenice. Nach dem Zweiten
Weltkrieg wurde der Vorgang zwischen Österreich und der ČSSR eisern, man
wollte die Korridorzüge loswerden. Auf tschechische Kosten wurde
deshalb auf der österreichischen Seite der Grenze eine neue Verbindung
von Gmünd nach Gmünd Böhmzell gebaut, die heute noch in Betrieb ist. Was
von der alten Strecke noch übrig ist, wollen wir nach dem Mittagessen
überprüfen. Aber unsere Eisenbahnarchäologie ist wenig erfolgreich: die
frühere Bahntrasse ist heute ein Wassergraben, Relikte sieht man keine
mehr.
In Gmünd Böhmzell drücken wir die Haltwunschtaste, um den nachmittäglichen Dampfzug aufzuhalten. Der Zug ist elf Wagen lang. Dass die Wagen nur für 40 km/h zugelassen sind, ist auf der kurvenreichen Strecke kein Hindernis.
Der Aufenthalt auf den Plattformen ist offenbar auch während der Fahrt erlaubt. Wir lassen uns Wind und Asche um die Ohren wehen und fotografieren die Lok dabei, wie sie sich in die Kurven schmeißt. Es geht vorbei an Seen, Wäldern und Feldern nach Alt Nagelberg. Dort gibt es heute keinen Anschluss Richtung Heidenreichstein – die dritte Schmalspurstrecke hier in der Region -, aber einen längeren Aufenthalt gibt es trotzdem, die Dampflok hat Durst.
Noch weitere 25 Minuten, dann erreichen wir das Streckenende in Litschau. In einem Güterschuppen und zwei Waggons ist auch hier ein Museum zur Geschichte der Waldviertler Schmalspurbahnen eingerichtet. Ich habe nicht mitgezählt, wie viele Museen und Infotafeln zur Bahngeschichte wir heute aufgesucht haben...
Im Museum in Litschau wird auch erklärt, wie oft der Lückenschluss von hier nach Nová Bystřice geplant und dann doch nie verwirklicht wurde - dort würde Anschluss an eine weitere Schmalspurbahn bestehen. Der grenzüberschreitende Bus fährt nur im Sommer, also bleibt uns heute nichts anderes übrig, als den selben Weg wieder zurück zu fahren. Die schöne Dampfbahnstrecke also ein zweites Mal. Diesmal allerdings im geheizten Waggon, auf der Außenplattform ist es uns mittlerweile deutlich zu kalt.
Nach der Ankunft in Gmünd verabschieden wir Julian, Michael und ich wandern auf der (südlichen) früheren Schmalspurstrecke hinüber auf die tschechische Seite, nach České Velenice. Viele Spuren der früheren Schmalspurstrecken gibt es auch hier nicht mehr, aber man kann ihren Verlauf noch gut nachvollziehen. Zahlreiche Infotafeln informieren über die Geschichte von Stadt, Bahn, Region und eisernem Vorhang. Die meisten der 18.000 Schritte, die wir heute gemacht haben, machen wir nach 17 Uhr zwischen Gmünd und České Velenice. Abendessen in Tschechien, übernachten in Österreich, ohne Passkontrolle auf der früheren Schmalspurbahnbrücke über den Grenzfluss. Lang lebe die Europäische Union.
Am nächsten Morgen erklärt mir Michael mit Zuckertüten, Zahnstochern und Pfefferstreuern das ETCS der Vinschgaubahn. Dann verabschieden wir uns und fahren in unterschiedlichen Richtungen nach Hause. Mein ursprüngliches Ticket über Linz werde ich stornieren, schließlich hat die Deutsche Bahn ja mal wieder nach Vertragsabschluss die Vertragsbedingungen geändert... Statt stundenlangem Busersatzverkehr hangele ich mich lieber noch ein paar Stunden durch Böhmen und sammele zwischen hier und Furth im Wald ein paar Strecken, die mir noch fehlen. Es geht also erstmal zurück nach České Velenice.
Auf dem Weg nach Budweis sehe ich Wäscheleinen vor einem alten Wasserturm,
Hochlandrinder
in einem Safari Park und viele kleine Seen. Ein Erlebnis ist der
Anschlusszug von dort weiter nach Pilsen: Mit einem so alten Waggon bin
ich schon lange nicht mehr gefahren. Ich mache es mir am Fensterplatz im
Achter-Abteil bequem, amüsiere mich über das Plumsklo und versuche
erfolglos, das Baujahr dieser Schüssel herauszufinden. Auch die Lok der
Baureihe 242 (Baujahre: 1975-1981) hat schon ein paar Jahre auf dem
Buckel.
Von den vielen schönen Bahnhöfen Tschechiens ist der von Pilsen einer der schönsten. Ich belasse es aber nicht bei einer Besichtigung des Bahnhofs: mir fehlt in Pilsen ja noch eine Straßenbahnstrecke, die bei meinem letzten Besuch gesperrt war. Das Ticket ist in zwei Sekunden gekauft (in der Straßenbahn Handy an den Automat halten), die Strecke ist schnell gefahren, 44 Minuten nach der Ankunft in Pilsen sitze ich schon im Zug nach Klatovy. Ich habe ein Sechserabteil für mich allein und genieße die schöne Landschaft.
Ein Regioshuttle bringt mich anschließend nach Domazlice. Ich muss eigentlich nicht erwähnen, dass er pünktlich ist, das sind in Tschechien ja quasi alle Züge...
... aber mit dem nächsten Zug fahre ich dann über die deutsche Grenze. Weil der Gegenzug aus Deutschland verspätet kommt, geht die Fahrt in Domazlice verspätet los. Und es kommt wie es kommen musste: der Anschlusszug in Schwandorf wartet nicht. Ich weiß mittlerweile: die eigentlich gebuchte Verbindung über Linz hätte nicht funktioniert (bzw. nur mit zwei Stunden früher starten UND zwei Stunden später ankommen). Aber kaum bin ich zurück in Deutschland, ist die neue Verbindung auch im Eimer. Also nicht 21 Uhr irgendwas daheim, sondern erst 23 Uhr irgendwas...
Die Pizzeria neben dem Bahnhof hat montags Ruhetag, das beschleunigt meinen Entschluss: Schonmal nach Amberg vorfahren, dahin fährt gleich ein Pendolino. Meine Oberpfälzer Verwandtschaft kann mir zwar kein Restaurant empfehlen, weil: Warum sollte man in Amberg Abendessen, wenn man aus Sulzbach kommt? Aber Sulzbach-Rosenberg ist heute keine Option, der Bus dorthin hat nicht auf meinen verspäteten Pendolino gewartet...
Also Amberg. Ist ja auch deutlich schöner als Schwandorf. Lecker Abendessen im Schloderer Bräuhaus. Und (ich weiß, seltsam, wenn man vorher tagelang in Tschechien war) das erste Bier vom Fass auf dieser Reise. Ich verbuche es als Urlaubsverlängerung in einem wunderschönen Städtchen und danke der Deutschen Bahn dafür.
Der Anschlusszug in Nürnberg ist überraschend eine alte Grünling-Garnitur. Also weiterhin keine Steckdose. Bei der Ankunft in Ansbach sind wir 5 Minuten zu spät, „Grund dafür sind die Witterungsverhältnisse. Sie können sich vorstellen: Stahl auf Stahl, das ist ziemlich flutschig, deshalb kriegen wir heute nicht so viel Leistung auf die Schiene.“ Tschechien hat kein Monopol auf rustikale Züge, die gibt es in Deutschland auch noch. Aber in Tschechien können sie auch dann pünktlich fahren, wenn es regnet...
Nach 1.573 Kilometern in 27 Zügen komme ich um kurz nach Mitternacht wieder zu Hause an. Das war ein intensives, schönes, langes Wochenende.













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