Isle of Man

Das älteste durchgehend tagende Parlament der Welt. Das früheste Frauenwahlrecht weltweit. Kein Tempolimit. Die Heimat von Mark Cavendish, dem Rekordhalter an Tour-de-France-Etappensiegen (35, einer mehr als Eddy Mercx). Das gefährlichste Motorradrennen der Welt.

Es gibt verschiedene Gründe, warum man die Isle of Man kennen könnte. Ja, sie ist ein eigenes Land. Irgendwie. Es gibt eigene Briefmarken, eigene Geldscheine, eigene Nummernschilder. Und jede Menge steuersparende Briefkastenfirmen, was der Isle of Man Platz 11 in der Liste der Länder mit dem höchsten BIP pro Kopf beschert. Man untersteht der britischen Krone, ist aber nicht Teil des United Kingdom. Die Isle of Man war also nie Teil der EU. Gesetze, die für das gesamte UK gelten, gelten aber auch für die gut 80.000 Einwohner der Isle of Man. Kompliziert. 

ICH kenne die Isle of Man natürlich nicht wegen der Motorradrennen, sondern wegen der historischen Eisenbahnen. Die Souvenirshops der Insel sind etwa hälftig aufgeteilt: 50 % Motorradkram, 50 % Eisenbahnzeug. Es gibt hier ALLES mit Eisenbahnen drauf. Es gibt auf der kleinen Insel eine täglich betriebene Dampfeisenbahn, eine Pferdestraßenbahn, eine elektrische Eisenbahn mit historischen Triebwagen, eine Bergbahn, mehrere Mini-Eisenbahnen. Und früher gab es noch viel mehr, wovon die vielen Eisenbahnbücher in den Souvenirshops berichten - und das Eisenbahnmuseum in Port Erin, das wir gerade besucht haben. Keine Ahnung, warum es noch ein extra Eisenbahnmuseum braucht, wo doch jede Eisenbahn und jeder Bahnhof auf dieser Insel ein Museum ist. Aber natürlich lassen wir uns das trotzdem nicht entgehen. Und schaffen es nicht, den Eisenbahn-Souvenirshop zu verlassen, ohne etwas zu kaufen...

Danach geht's dann aber raus „in die Stadt“: Port Erin besteht aus ein paar unspektulären Straßenzügen und einer spektakulären Steilküste. An der spazieren wir ein bisschen entlang, bevor wir den Rückweg zum Bahnhof einschlagen. Zurück nach Castletown nehmen wir wieder die Isle of Man Steam Railway - übrigens das Vorbild für Thomas the Tank Engine (zu Deutsch: Thomas die Lokomotive). Dieses Mal gönnen wir uns den 99 Jahre alten 1. Klasse Wagen, der erneut von einer 151 Jahre alten Dampflok gezogen wird.




Auf der Hinfahrt teilten wir uns ein Zweite-Klasse-Abteil mit einer sechsköpfigen amerikanischen Familie und hatten gemeinsam viel Spaß. Die Familienmitglieder kommen aus unterschiedlichen Teilen der USA, von Ohio bis Florida, und treffen sich alle auf der Isle of Man, von der ihre Ur-Großmutter einst nach Amerika ausgewandert ist.

Das Abteil ist nur vom Bahnsteig aus erreichbar, man kann nicht durch den Wagen durchlaufen. Man erkennt, dass der Weg von der Postkutsche zur Eisenbahn ein kurzer war. 

Eine Zwischenstation zwischen Postkutsche und dampfbetriebener Eisenbahn ist sozusagen die Pferde-Straßenbahn. Mit der sind wir gestern gleich nach der Ankunft in Douglas gefahren. Also nachdem wir kurz in der Unterkunft waren, um unsere Seekrankheit von der schwankenden Überfahrt aus Dublin auszukurieren... Nelson hat uns mit seiner Pferdestärke an der Strandpromenade der Inselhauptstadt entlanggezogen. Diese Pferdestraßenbahn an sich wäre schon eine (Bahn)reise auf diese Insel wert, aber dann gibt es eben noch die Dampfbahn nach Port Erin. Und noch so vieles mehr...


Nach einer Busfahrt über Douglas nach Ramsey erreichen wir das nächste Eisenbahnhighlight: Die Manx Electric Railway. Triebwagen 21 wurde 1899 gebaut und ist noch heute im täglichen Einsatz. Das reicht aber nicht fürs Guinnessbuch: da stehen die Wagen 1 und 2, die seit der Eröffnung der Manx Electric Railway (MER) im Jahr 1893 im Einsatz stehen und somit die ältesten noch auf ihrer ursprünglichen Strecke im Einsatz stehenden elektrischen Straßenbahntriebwagen der Welt sind. Oha.

Der offene Beiwagen hätte noch bessere Blicke aufs Meer eröffnet, aber der geschlossene Triebwagen hat eine Heizung, deshalb haben wir uns für den entschieden. Neben uns und dem Triebwagenführer fahren ein Hund und ein englisches Pärchen mit - die drei saßen heute beim Frühstück neben uns (und der Mann schnarchte heute Nacht gut hörbar im Zimmer neben uns). Lustiger Zufall. Wir unterhalten uns über das verschimmelte glutenfreie Brot beim Frühstück und den Stuttgarter Weihnachtsmarkt ("Best market we've ever seen!!"), dann werden wir vom schrillen Pfiff des Triebwagens jäh unterbrochen. Die Fahrt geht los!

75 Minuten lang schaukelt uns der alte Triebwagen zurück nach Douglas. Links sieht man das Meer - und mit ein bisschen Fantasie Schottland -, rechts die Berge, die wir morgen erklimmen wollen. Die Holzfenster klappern im Rahmen, noch lauter ist nur das regelmäßige Pfeifen vor Bahnübergängen. Unglaublich, dass diese alte Schüssel immer noch fährt. Aber auf einer Insel, auf der Katzen ohne Schwanz leben, Wallabies eine Plage sind und es eine Altenheim-Koppel für ausgediente Pferdestraßenbahn-Pferde gibt, da wundert sich vermutlich niemand über einen pfeifenden Triebwagen aus dem Jahr 1899.



Wie könnte man diesen Eisenbahntag besser beenden als mit einem Abendessen im Endbahnhofrestaurant Terminus Tavern? Vor dem Restaurant die Gleise von Manx Electric Railway und Pferde-Straßenbahn, im Restaurant überall historische Fotos und Schilder der verschiedenen Eisenbahnen der Isle of Man. Richtig schön. Und dann ist auch noch das Essen sehr lecker (Pie für Markus, Curry für Julia) und das Bier noch leckerer (Smoked Stout der lokalen Brauerei Okell's). Als zweites halbes Pint gönne ich mir noch ein "Okell's 1907" und muss lernen, dass das wegen dem Motorradrennen so heißt: "Brewed to mark the 100 year anniversary of the iconic Isle of Man TT Races, 1907 is a bold but beautifully balanced pale ale that captures all the drama of the 37¾ mile race circuit." Ich habe das Drama von 37 3/4 Meilen getrunken, interessant. 



Weil die Pferde der Straßenbahn schon im Stall sind, gehen wir zum Tagesfinale noch an der Promenade entlang und genießen die Abendsonne. Jawohl, die Abendsonne! Es hatte heute nur morgens geregnet, im Lauf des Tages ist das Wetter immer besser geworden, und jetzt scheint sogar die Sonne. Irre.

Unser letzter Tag auf der Isle of Man startet mit einer Enttäuschung: die Pferdebahn kommt nicht. Hat Nelson, das Pferd von vorgestern, keine Lust auf Regen? Wir werden es nie erfahren: es gibt keine Infos. Es kommt halt einfach kein Zug. Wir geben auf, laufen zur Bushaltestelle - und kriegen so doch noch den 10:10h-Zug der Manx Electric Railway. Triebwagen 7 - Baujahr 1894! - bringt uns nach Laxey. Und da wartet das nächste Pufferküsser-Highlight auf uns: die Great Laxey Mine Railway. Die alte Minenbahn - unser Zug besteht aus einer Mini-Dampflok und einem vergitterten Wagen - wurde von rüstigen Enthusiasten wieder aufgebaut und bringt immer samstags alle, die den Kopf weit genug einziehen können, durch einen Tunnel und am Bach entlang zum alten Mineneingang in der Nähe des gigantischen Laxey Wheel. Das Wasserrad betrachten wir von außerhalb des Zauns, der Zugang würde 15,50 £ kosten. Die Bahnfahrt ist kurz und kurzweilig. Leider ist der Dialekt auf der Isle of Man so brutal, dass wir die Anekdoten und Ausführungen des Zugbegleiters nur zur Hälfte verstehen. Wir nicken und lachen hoffentlich an den richtigen Stellen.



In Laxey haben wir anschließend bis 12:45 Uhr Zwangspause - aufgrund der starken Regenfälle heute Morgen konnte die Berbahn noch nicht den Betrieb aufnehmen. Mein persönliches Highlight im kleinen Ort hat aber leider geschlossen: es gibt hier eine Buchhandlung, die ausschließlich Eisenbahnliteratur im Sortiment hat, „The Tram Junction“. Stattdessen also ein kleiner Spaziergang, bevor wir uns in die Warteschlage für die Snaefell Mountain Railway stellen. 

"Everybody got their pictures?" Ja, alle Fahrgäste haben das große Wasserrad fotografiert. Dann kann die Fahrt weitergehen. Per Lautsprecheransage wurde zuvor die Geschichte des größten Wasserrads der Welt erklärt und ein Fotostopp eingelegt. Was für eine sympathische Bergbahn. Der uralte Holzwagen ist nicht wirklich bequem, aber sehr cool. Er ist so alt wie die Bahn, also Baujahr 1895. 

Hinten kann man durch die offene Tür fotografieren, rechts kann man ins Tal fotografieren - folglich wechsele ich ständig den Platz. Neben uns liegen Kühe auf der Wiese, zwei Schafe lassen sich vom Gleis verscheuchen.

Die bis zu 10% Steigung meistert der alte Wagen offenbar ohne Zahnstange - die mittig aufgesetzte dritte Schiene ist eine Bremsschiene nach dem System Fell, also eher auf der Abfahrt relevant. 

Wie erwartet tauchen wir irgendwann in den Nebel ein. Hochalpine Gefühle kommen auf. Nach insgesamt acht Kilometern Fahrt ist der Gipfel erreicht - der höchste Gipfel der Insel ist ganze 621 Meter hoch, oder wie man hier stolz schreibt: 2.036 Fuß! Wir steigen aus, frieren kurz und gehen dann ins geheizte Café. 

Übrigens ein fun fact für Pufferküsser: die Spurweite der Snaefell Mountain Railway ist die sonst vor allem in den englischen Kolonien angewendete Kapspur (1.067 mm), während die Manx Electric Railway (wie auch die Douglas Horse Tramway) auf einer Spurweite von 3 Fuß (914 mm) unterwegs ist. Die beiden Bahnen, die in Laxey aufeinandertreffen, sind also nicht kompatibel.  



Nach einer sehr nassen Wanderung hinunter nach Laxey und weiter auf dem Coastal Path parallel zur Küste erreiche ich die Groudle Glen Railway, eine 610 mm schmale Dampfeisenbahn, die leider nur Sonntags verkehrt. Weil wir morgen - Sonntag - früh aufs Schiff müssen, bleibt uns eine Mitfahrt leider verwehrt. Also Plan B: ich laufe einfach die gesamte Strecke ab. Damit habe ich alle Bahnstrecken, die auf der Isle of Man noch in Betrieb sind, „bereist“, mission accomplished. Morgen geht es dann weiter nach Nordirland und zum Giant's Causeway