Slowakei: Die Waldbahn in Čierny Balog und die Zahnradbahn nach Tisovec


Der Zug windet sich entlang der sanft dahinmändrierenden Hron talaufwärts. Mehrere Graureiher stehen im Fluss und beobachten neugierig den vorbeifahrenden Zug. Wir blicken neugierig auf die Berge der Niederen Tatra und passieren in regelmäßigen Abständen hübsche Straßendörfer mit Ackerstreifen hinter jedem Haus und Storchennestern auf den Strommasten. Das Vergnügen, in diesem modernen Triebwagen nach Brezno zu fahren, kostet ganze 2,20€ pro Person. Im Vergleich dazu war der Oberleitungsbus, der uns für 1€ pro Person zum Hauptbahnhof von Banská Bystrica gebracht hat, direkt teuer.

Auf dem Zugmonitor wird angezeigt, wie viel weniger Platz ein Zug im Vergleich zu Autos braucht. Die dargestellten Dimensionen passen irgendwie nicht zu den Zahlen. Aber die Botschaft ist klar: Weniger Autos heißt mehr Platz für Bäume. Auch Busse schneiden im Platzverbrauchvergleich gut ab. 

Wie passend, dass wir von Brezno mit einem Bus weiter zu den Bäumen fahren: unser Ziel ist die Waldbahn in Čierny Balog. Die hat heute Saisonfinale, zum letzten Mal in diesem Jahr werden alle drei Streckenäste bedient, und zwar zu unserer Überraschung alle drei mit Dampflokomotiven. Nichts wie hin!



Pünktlich um 10:00h startet die Fahrt mit der ersten kleinen Waldbahn nach Šánské. Wir tuckern gemütlich durch eine schöne Landschaft und werden immer mal wieder von Mountainbikes auf dem parallel verlaufenden Fahrradweg überholt. Am „Endbahnhof“ setzt die Dampflok ans andere Zugende um, das Gleis führt weiter Richtung Hrontal und kann mit Fahrraddraisinen befahren werden. Ein Eisenbahn-Memory aus drehbaren Holzklötzen verkürzt die Wartezeit, bis es zurück nach Čierny Balog geht.

Der Zug hat weder Scheiben noch Türen. Die Fahrt mit der Waldbahn ist also ein sehr transparentes und fotografenfreundliches Vergnügen. Wenn man nach vorne schaut, guckt man direkt auf die Dampflok, nach hinten raus direkt auf die Strecke. Fensterscheiben in Zügen werden überschätzt.

Der zweite Streckenast führt nach Dobroč.
Highlight des Streckenastes ist die Fahrt am Sportplatz entlang: der Dampfzug zuckelt zwischen Tribüne und Spielfeld durch das Mini-Stadion, etwaige Fußballspiele müssen unterbrochen werden, wenn sich der Zug nähert. Laut Eigenwerbung der Waldbahn ist eine Bahnstrecke zwischen Fußballplatz und Tribüne weltweit einmalig.

Die Gleise sind krumm, entsprechend schaukelt die Dampflok, wie wenn sie Neigetechnik hätte. Für höhere Geschwindigkeiten ist das hier nicht ausgelegt, aber das braucht man hier auch nicht.



Aller guten Dinge sind drei sind, also fahren wir natürlich auch noch die dritte Waldbahn-Strecke nach Lesnícky skanzen. Die Fahrgäste sind wieder die gleichen wie vorhin, diesmal ist es aber eine andere Zuggarnitur. Die Strecke führt an einem Bach entlang zu einem Freilichtmuseum und endet scheinbar willkürlich mitten im Wald. Der Schaffner kündigt 15 Minuten Pause an, bevor wir zurückfahren. Wir entscheiden uns, die paar Kilometer zurück nach Čierny Balog zu laufen und ernten einen entsetzen Blick („oooohhhkeey, you can do that, that’s your choice…“).

Wir stoppen in einem Koliba und beobachten, während wir auf das leckere Mittagessen warten, wie „unser“ Dampfzug an uns vorbeirollt. 


In Čierny Balog besuchen wir noch Waldbahnmseum, Souvenirshop und Bahnhofscafé, dann geht es mit dem Bus zurück nach Brezno. Von dort zurück nach Banská Bystrica fahren wir dieses Mal nicht direkt durch das Hrontal, sondern bauen die Zahnradbahn nach Tisovec mit ein. 

Glück gehabt: der Zug nach Tisovec ist eine Brotbüchse! So nennt man die kleinen rechteckigen Schienenbusse, die in der CSSR in großer Stückzahl produziert wurden und auf verschiedenen osteuropäischen Nebenbahnen noch immer zuverlässig ihre Dienste verrichten. Die 53 auf sehr wenig Platz verteilten Sitzplätze reichen für diese Strecken aus. In unserem Fall ist erstaunlich, dass es überhaupt Fahrgäste gibt auf einer Strecke, auf der genau sechs Züge pro Woche fahren (Samstag und Sonntag jeweils drei).


Ich wollte diese Strecke unbedingt fahren, wenn ich schonmal in der Slowakei bin. Deshalb musste der Reiseplan so konstruiert werden, dass wir an einem Wochenende hier sind. Warum ich die Strecke unbedingt fahren wollte? Weil es eine Zahnradbahn ist. Seit ich mal in einer Zahnradbahn-Enzyklopädie festgestellt habe, dass ich schon die Hälfte aller Zahnradbahnen weltweit gefahren bin (ok, die Hälfte aller Zahnradbahnen der Welt fahren auch in der Schweiz; die in Australien und Brasilien sind schwieriger zu sammeln), sammle ich auch Zahnradbahnen. Eigentlich ist Brezno - Tisovec keine echte Zahnradbahn mehr, die Regelzüge fahren seit geraumer Zeit im Adhäsionsbetrieb und nutzen die Zahnstange nicht. Die Zahnstange liegt aber noch im Gleis und wird ab und an von Museumszügen genutzt.

Museumszüge hatten wir heute wahrlich genug, jetzt fahren wir als einzige Touristen in einer planmäßigen Brotbüchse ins „Slowakische Erzgebirge“ (das, als die Strecke gebaut wurde, noch ungarisch war). Im ersten Streckenteil blicken wir nach hinten noch auf die Niedere Tatra, die in bedrohlichen Gewitterwolken unterzugehen droht. Dann verschwinden wir im dichten Wald - und erreichen schließlich die 5%-Steigung mit der Zahnstange. Ein Schild, dass aussieht wie eine Königskrone, kündert deren Beginn an.


Der Scheitelpunkt ist in Zbojska erreicht. Ein Mann mit riesigem Rucksack steigt aus, eine Frau mit süßlich-rauchiger Parfumwolke steigt ein. Dann rüttelt der Zug wieder los. Die Abfahrt ist noch spektakulärer als die Auffahrt: die Bahnstrecke hängt über einer steilen Schlucht am Hang, über mehrere beeindruckende Eisenbrücken werden Seitentäler gequert.


Jeder kennt die Berninabahn und die Gotthardbahn. Die sind in der Tat einzigartig. Aber es gibt auch Geheimtipp-Bergbahnen. Mit einem der sechs Züge pro Woche von Brezno über das Slowakische Erzgebirge nach Tisovec fahren - das ist ein Geheimtipp.

Mit der Ankunft am Bahnhof Tisovec ist die Reizüberflutung noch nicht beendet: in dem überdimensionierten Provinzbahnhof stehen vier Brotdosen und eine Schneeschleuder bereit, um von uns fotografiert zu werden. Eine der fotografierten Brotbüchsen bringt uns anschließend weiter nach Jesenské.

Der Zug von Jesenské nach Zvolen hat 20 Minuten Verspätung, sodass wir den lauwarmen Sommerabend auf dem gleichzeitig belebten und ausgestorbenen Bahnhofsvorplatz noch länger genießen können. Wir starten die Übersetzungsapp zum Glück schnell genug, um die Durchsage zu übersetzen, dass der Zug auf Gleis 4 einfährt. Da kommt sie auch schon angebrummt, die Diesellok mit dem Spitznamen Taucherbrille. Wir machen es uns im mittleren der drei Wagen bequem und genießen unser abendliches Picknick, während der Zug in die südslowakische Dunkelheit rauscht.



Um den Anschlusszug zurück nach Banská Bystrica haben wir uns umsonst Sorgen gemacht: der hat auf uns gewartet und startet deshalb mit 12 Minuten Verspätung. Bequeme Züge, freundliches Personal, günstige Tickets: das bisschen Verspätung ändert nichts daran, dass ich die Slowakische Bahn mag.