Slowakei: Von Bratislava nach Banská Bystrica

30 Minuten vor der Abfahrt unseres Zuges am Hauptbahnhof von Bratislava verlassen wir nicht weit vom Donauufer unser Restaurant. Nach einem zügigen Marsch durch die Altstadt und einer letzten Straßenbahnfahrt (im 21. Jahrhundert, also außerhalb von Deutschland, funktioniert das übrigens so: beim Ein- und Aussteigen hält man jeweils sein Handy vor den Entwerter, das System ermittelt am Tagesende das günstigste Ticket und bucht den Betrag von der Kreditkarte ab) erreichen wir sechs Minuten vor der Abfahrt des Zuges nach Banská Bystrica den Bahnhof. Rucksäcke aus dem Schließfach holen; rausfinden, auf welchem Gleis der Zug fährt; Kaffee kaufen; aufs Gleis laufen - geht sich das in sechs Minuten aus?


Wir müssen es nicht testen, die Digitalanzeige verrät, dass der Zug 15 Minuten Verspätung hat. Also in aller Ruhe Kaffee kaufen und gemütlich auf Gleis 2 laufen, wo der Zug um 13:52h abfahren sollte.

Das Ticket haben wir heute Morgen schon gekauft. In der App schwierig, weil die nur Slowakisch spricht. Am Automat unmöglich, weil der nur Tickets für den Stadtverkehr Bratislava verkauft. Also musste ich zum Schalter für „komplexen Kundenservice“. Die Frau am Schalter konnte weder Englisch noch Deutsch, aber sie hat mir zwei Tickets nach Banská Bystrica (gerade mal gut 10 € pro Person für vier Stunden Bahnfahrt!) schneller verkauft als das irgendeine App könnte.


Mit den Fahrkarten im Geldbeutel und dem Kaffee in der Hand stehen wir an Gleis 2. Gegenüber, auf Gleis 4, fährt ein Zug ein. In den Türen hängen Schilder „Banská Bystrica - Bratislava“. Der Schaffner steckt das Schild um, so dass es jetzt aussieht, wie wenn der Zug nach Banská zurückfahren würde, aber der Schaffner verschwindet zu schnell, um ihn ansprechen zu können. Auf dem digitalen Abfahrtsanzeiger steht „Nenastupovat“. Ein Ort in der Slowakei, vom dem ich noch nie was gehört habe? Nein, Google Translate weiß, dass das „nicht einsteigen“ heißt. 



Auf Gleis 2 steht jetzt der EuroCity nach Prag, auf dem Bahnsteig stehen viele ratlose Passagiere. Bahnsteigdurchsagen laufen quasi ununterbrochen, Englisch übersetzt werden aber nur die zu den internationalen Zügen. Julia lässt Google Translate die Bahnsteigdurchsage zu unserem Zug aufzeichnen. Sehr clever. So erfahren wir, dass der Zug 25 Minuten Verspätung haben soll. „Die aktivierte Verspätung tut uns leid. Keine ganz logische Übersetzung, aber jetzt wissen wir, was uns die Durchsage mitteilen wollte.

In den Zug auf Gleis 4 sind mittlerweile mehrere Passagiere eingestiegen. Wir ahnen, dass das unser Zug sein wird, wir aber noch nicht einsteigen dürfen, bevor die Lok ans andere Zugende umgesetzt hat. Deshalb war der Schaffner auch so schnell weg, weil er beim Rangieren helfen muss.

Endlich, fast 30 Minuten nach der planmäßigen Abfahrt, springt die Anzeige um: jetzt ist offiziell, dass der Zug auf Gleis 4 unser Zug ist. Scheinbar fährt er auch wirklich durch nach Banská Bystrica – sowohl der DB Navigator als auch die App der Slowakischen Bahn behaupten hartnäckig, dass wir unterwegs in Kozarovce umsteigen müssen.

Wir steigen ein, wollen endlich die Rucksäcke absetzen – und sind verwirrt: scheinbar sind alle Plätze reserviert, in allen Reservierungsanzeigen hängen Zettel mit slowakischen Ortsnamen und einem QR-Code. In einem Regionalzug alle Plätze reserviert? Nein. Ein Englisch sprechender Einheimischer bestätigt meinen Verdacht: Die Zettel haben nichts mit Reservierungen zu tun, sie machen Werbung für UNESCO-Welterbestätten und Veranstaltungen in der Slowakei.


Während ich noch rätsele, in welchem Land unser Wagen ursprünglich mal gefahren ist (mein Rechercheergebnis: Schweiz), fährt auf Gleis 2 plötzlich ein Zug ein. Auf dem Zug steht Banská Bystrica. Also fahren wir jetzt doch von Gleis 2?!


Nein, der Zug auf Gleis 2 fährt nach Nenastupovat. Wir sind im richtigen Zug.

Oder doch nicht? Um 14:43 Uhr fährt der Zug auf Gleis 2 in die richtige Richtung ab. Wir stehen immer noch auf Gleis 4. Aber der Zug auf Gleis 2 ist leer. Und unser Schaffner läuft missmutig über den Bahnsteig. Er schließt gerade mit seinem Leben ab – oder zumindest mit seinem Job.

Nach einigem Warten und Schwitzen koppelt dann doch noch die Lok vorne an und endlich springt die Klimaanlage an (Außentemperatur: 32 Grad; Innentemperatur: gefühlt deutlich höher). Na gut, nennen wir es Lüftung. Klimaanlage kann man das wirklich nicht nennen.

Endlich: Um 14:51 Uhr fahren wir mit 59 Minuten Verspätung los.


Der erste Eindruck der Slowakischen Bahn ist irgendwie – Deutsch. Ernüchternd. Und das war der größte Bahnhof des Landes mit Digitalanzeigen, Durchsagen und Personal. Ich bin gespannt, wie es in den nächsten Wochen auf kleinen Provinzhaltestellen wird...

Bei der Fahrkartenkontrolle übermittelt uns der Schaffner eine wichtige Information. Wir haben absolut keine Ahnung, welche. In der Google Translate-Übersetzung einer Durchsage, die bald darauf durch die Lautsprecher knarzt, tauchen die Worte „auf der mit Bussen befahrene Strecke“ und „Ersatzbustransportnehmen“ auf. Ich liebe ein bisschen Abenteuer im (Bahn)Urlaub. Aber es hätte nicht gleich am ersten Tag sein müssen...

Nach einem kurzen „Gespräch“ mit dem Schaffner gibt es die Gewissheit: Levice autobus Nova Bana.

Es stellt sich also nicht mehr die Frage, ob wir in Kozarovce den Zug wechseln müssen: wir kommen da nie mit dem Zug hin.

Mit einer Stunde und 20 Minuten Verspätung kommen wir in Levice an, auf dem Bahnhofsvorplatz stehen tatsächlich drei Ersatzbusse bereit. Während ich noch darüber nachdenke, in welchen Ländern ich schon überall Schienenersatzverkehr gefahren bin (Deutschland, Italien, Schweden, Türkei, Bulgarien, ...) und wo das am schlechtesten funktioniert hat (Deutschland), geht die Fahrt auch schon los. Wir sitzen sehr bequem, das Gepäck ist gut verstaut.


Sozialistische Plattenbausiedlungen, ruhige Landstraßen, schöne Flussauen, am Horizont die Berge der Niederen Tatra: jetzt fühlt es sich irgendwie voll nach Urlaub an. Es funktioniert zwar nichts so, wie wir es gebucht haben, aber es macht voll Spaß.

Nach der Ersatzbusfahrt haben wir zehn Minuten Verspätung weniger als vor der Ersatzbusfahrt, das hatte ich noch nie. Die restliche Bahnfahrt bis Banská Bystrica verläuft dann sehr entspannt. Am späten Nachmittag erreichen wir die äußerst sympathische drittgrößte Stadt des Landes.