Von Kairo nach Alexandria - und wieder zurück

Das Abenteuer "kaufe als Ausländer in Ägypten ein Bahnticket" ist leider ziemlich teuer und kompliziert und endet damit, dass der Schalterbeamte mit Durchschlagpapier von Hand die großen Fahrkarten beschreibt. Stolz liest er uns auf Englisch das Ergebnis vor. Ich weise ihn vorsichtig darauf hin, dass morgen nicht der 4. August, sondern der 4. September ist. Daraufhin fängt er die aufwendige Prozedur von vorne an...

Angenehmer als im Ramses Bahnhof in Kairo ein Ticket zu kaufen, ist es, im Ramses Bahnhof das Abendessen zu genießen. Wir blicken dabei auf die ankommenden und abfahrenden Züge in der Haupthalle: Lokomotiven aus deutscher und amerikanischer Produktion, Waggons aus russischer, französischer und spanischer Produktion, eine wunderbare Bahnhofsarchitektur mit englischen Einflüssen...

Am nächsten Morgen ist es ein bisschen anstrengend, zum Zug gehen zu dürfen. Nach zwei Polizisten, einer Rucksackkontrolle und einer Sperre, die sich nur mit Einheimischen-Tickets öffnen lässt, sitzen wir auf Bahnsteig 4 in Wagen 4 des Talgo-Zuges nach Alexandria. Und wie erwartet: der Zug ist mega!! Entertainment-Programm im Vordersitz, riesiger Sitzabstand mit Fußstütze, super bequeme Sitze mit doppelter Armlehne, die alle in Fahrtrichtung gedreht sind... Zugegeben, wir haben uns 1. Klasse gegönnt, aber auch 1. Klasse in Westeuropa hat nichts mit diesem Luxus hier zu tun. Die absolute Abzocke für Touristen (die Fahrt von Kairo nach Alexandria kostet uns 35 $) ist richtig großartig. Wir freuen uns auf die Fahrt.

Es stand auf Englisch "Push the button". Ich habe den Toilettendeckel geschlossen und den Button gepusht. Auf einmal läuft Wasser unter dem Klodeckel raus auf meine Schuhe und den Toilettenboden. Ich hätte nicht nur den englischen Schriftzug lesen sollen, sondern auch die Symbole darunter beachten. Ich habe nicht die Toilettenspülung betätigt, sondern die Popodusche... Ich versuche den Schaden halbwegs in den Griff zu kriegen und die Toilettenkabine wieder zu verlassen. Allein: Ich kriege die Kabinentür nicht auf. Ich schließe sie auf - und plötzlich geht das Licht an. Sie war also nie wirklich zugeschlossen, man muss um 180 Grad drehen und nicht nur um 90 Grad... Der Bahnmitarbeiter, der für die Toilette zuständig ist (ja, es gibt für jede Toilette im Zug einen Angestellten, vor jeder Nutzung wird desinfiziert!), erteilt mir von außen Ratschläge, wie ich die Tür wieder öffnen kann. Allein: Ich verstehe kein Arabisch. Irgendwie gelingt es mir doch, wieder rauszukommen...

Weniger problematisch als der Toilettenbesuch war das Problem "wir haben noch kein Frühstück": Gleich nach der Abfahrt stellt mir der mobile Frühstücksverkäufer ein Tablett mit Gebäck, Käsetube, Marmelade, Wasser und einem seltsamen Erdbeer-Bananen-Saft auf den Tisch. Kostet zwar 80 Pound (ca. 4 €) extra, aber lohnt sich.

"Nescafé, Chai, s..." Der mobile Frühstücksverkäufer preist beim erneuten Vorbeigehen sein Getränkesortiment an. Es klingt jedes Mal wie "Nescafé is scheiß". Wo er Recht hat, ...

Wir haben heute ja noch keinen Kaffee getrunken, aber wir wollen ohnehin diesen Nobelhobelluxuszug, den ganzen Stolz der ägyptischen Staatsbahn, vollständig kennenlernen, also schauen wir mal, ob es in der Cafeteria besseren, also "türkischen" Kaffee gibt: gibt es. Er wird frisch aufgebrüht, und uns bis zu unserem Platz in Wagen 4 hinterhergetragen. Gestern haben wir uns noch geärgert, wie teuer dieser Zug ist (und dass Touristen mit den billigeren Zügen nicht fahren dürfen). Heute freuen wir uns einfach nur, wie toll dieser Zug ist.

Vor dem Fenster das überraschend grüne Nildelta. Mais-, Baumwoll- und Reisfelder, überraschend kleinteilig, mit sehr viel Handarbeit. Vereinzelt alte Traktoren, aber Esel und Ochsen überwiegen. Esel und Pferde sieht man auch auf der Autobahn, neben der wir eine Weile entlang fahren. Dazwischen Lkws, Busse und Tuktuks... Mein Highlight ist aber natürlich die Überquerung des Nils, bzw. seiner zwei Hauptarme im Delta. Wir sind bei Dunkelheit drübergeflogen, wir sind mit der U-Bahn drunter durchgefahren, endlich sehen wir den Nil jetzt auch mal!








Es ist 19:02 Uhr. Die amerikanische Lok lässt ihre markante Hupe erklingen und zieht unseren "VIP-Express" aus dem Bahnhof von Alexandria. Wir lümmeln in unseren 1983 in Frankreich gebauten Wohnzimmersesseln, haben die Gardinen geöffnet und das Rollo hochgekurbelt, und lassen die 8,5 Stunden in Alexandria Revue passieren. Es hätten gerne mehr sein dürfen.

Gut, dass wir uns erst in Kairo akklimatisieren konnten, Alexandria ist noch ein bisschen krasser. Mehr runtergekommen, noch verrückterer Verkehr, gefühlt mehr Menschen pro Quadratmeter. Aber diese Menschen sind irgendwie noch freundlicher als in Kairo. Auch in den heruntergekommensten Straßen fühlt man sich nie unsicher. Das Klischee, dass Hafenstädte immer besonders offen und tolerant sind, bestätigt sich auch hier. Auffällig ist auch, dass Frauen seltener vollverschleiert sind und häufiger vor Cafés sitzen (in Kairo sieht man meist nur Männer).

Unsere Theorie, warum der Verkehr in Alexandria chaotischer erscheint: In Kairo sind die breiten Straßen meist Einbahnstraßen. Die meisten Straßen in Alexandria werden in zwei Richtungen befahren - und das funktioniert einfach hinten und vorne nicht. Wenn Fahrzeuge, wie es in Ägypten nun mal üblich ist, sich immer auf die die gesamte Straßenbreite verteilen, dann blockieren sie sich bei Gegenverkehr ständig gegenseitig und nichts geht mehr. Leidtragende ist die Straßenbahn, die mittendrin festhängt und nicht weiterkommt. Für uns ein bisschen problematisch, weil wir dadurch nur wenige Strecken fahren konnten. Für Straßenbahnfahrer und -Schaffner völlig unproblematisch, die machen dann halt Kaffee- und Zigarettenpause im Führerhaus oder steigen aus und zapfen sich ein Wasser. Ägypter sind so bewundernswert entspannt, da könnte man sich auf der anderen Seite des Mittelmeers eine Scheibe von abschneiden.

Die Straßenbahnen sind übrigens deutsche, japanische und ukrainische Fabrikate. Die deutschen Düwags wurden 1972 (!) gebraucht aus Kopenhagen übernommen und sind immer noch tapfer im Einsatz. Eine wunderbare Kindheitserinnerung auf dem ältesten Straßenbahnnetz Afrikas. Das Weltwunder Leuchtturm von Alexandria steht nicht mehr, aber dass diese alten Bahnen in Alexandria noch immer fahren, ist ja auch irgendwie ein Wunder.

In Alexandria erinnert übrigens sehr viel an Frankreich und Italien, vor allem der Baustil der Gebäude in der Innenstadt. Jugendstilprachtbauten, bei denen längst der Putz abblättert. Was vor hundert Jahren als französisches Café erbaut wurde, ist heute eine Shishabar. Koptische Kathedrale, Synagoge und Moschee in friedlicher Koexistenz, wenn auch mit viel Polizeischutz. Schöne Strände, ein schönes Kastell, eine sehenswerte Bibliothek, ... Alexandria hat echt viel Potential, nur scheinbar nicht viel Geld. Uns drängt sich immer wieder der Vergleich mit Bari auf: Wie Bari, nur abgefuckt. Interessant, wie wir aus dem Süden auf Süditalien blicken. Anders als aus dem Norden. Wir sind also schon ganz gut akklimatisiert in Nordafrika.














Die Eisenbahn-Weltreise durch Ägypten umfasste heute (jeweils Geburtsland) amerikanische Lokomotiven, spanische Waggons, französische Waggons, eine südkoreanische und eine französische U-Bahn, eine deutsche, eine japanische und mehrere ukrainische Straßenbahnen. Es gäbe in Ägypten auch noch Waggons aus Russland, China, Spanien und der DDR. Aber wir müssen ja nicht alles heute fahren, Kairo wurde auch nicht an einem Tag erbaut.