Nachtzug Kairo - Assuan

Es gibt ja sehr wenig, was wir vor Beginn der Reise gebucht hatten. Der Nachtzug von Kairo nach Assuan gehört dazu. Die Online-Buchung war ein kleines Abenteuer, aber so haben wir wenigstens nur unverschämte 80 $ pro Person gezahlt und nicht noch unverschämtere 120 $, wenn wir die Hilfe einer Agency in Anspruch genommen hätten. Einheimischenpreise sind für Touristen tabu...

Aus der Recherche des Buchungsprinzips und mehreren Reiseberichten wussten wir ganz grob, was uns erwartet. Aber es ist dann doch nochmal was anderes, wenn dir der bewaffnete Polizist in der Bahnhofshalle "Go, Go!" zuruft und dich auffordert, ihm zum Bahnsteig 8 zu folgen - du ihm aber erklären musst, dass deine "Frau" (ja, für diese eine Nacht sind wir verheiratet, sonst dürften wir uns kein Schlafwagenabteil teilen) noch nicht da ist und du noch auf sie warten musst. Leicht angespannt hole ich Julia im Vodafone-Shop ab (ja, wir haben jetzt Internet) und wir folgen dem Polizisten.

Auf Gleis 8 ist viel los. Man erkennt sofort, wer die anderen sind, die auch mindestens 80 $ gezahlt haben. Wir kommen mit zwei Chinesinnen, einem Malaysianer und einer Indonesierin ins Gespräch, dann bricht auf einmal Unruhe aus auf dem Bahnsteig: der Zug fährt ein. Eine große rote amerikanische Diesellok zieht ranzige, grüne Wagen heran. Ein paar Scheiben wurden von Steinen eingeschlagen, der Lack ist ab, aber es steht eindeutig "sleeping car" auf den Wagen. Das muss er sein?!

Nein, er ist es nicht. Das ist Zug 84, der schon um 19:20 Uhr hätte abfahren sollen, wir haben Zug 86 gebucht, Planabfahrt 19:45 Uhr. Also Rucksäcke wieder absetzen, dem Polizisten insgeheim dankbar sein, dass er uns das ganze Chaos im Rahmen seiner Möglichkeiten übersetzt und an der nächstbesten Bude eine Tüte Chips kaufen.

Kurz darauf ist es dann so weit, der richtige Zug fährt ein und unser Polizist hetzt uns über den Bahnsteig zu Wagen 3. Dort finden wir schnell unser Leukoplast-Abteil und richten uns im Charme der sozialistischen 80er Jahre ein. Highlights im Abteil sind die Verbindungstür ins Nachbarabteil, der Kleiderbügel mit dem rosa Herz und der Wandschrank, in dem sich das Waschbecken versteckt - und dessen Optik eine Kreuzung aus Delfin Flipper und sowjetischer Raumkapsel darstellt. Der Sitzkomfort lässt zu wünschen übrig, viel Hygiene darf man natürlich nicht erwarten und 80 $ sind echt frech für diesen rollenden Schrotthaufen, aber wir feiern das Abteil total.

Um 20.02 Uhr ertönt die vertraute amerikanische Hupe und der Zug setzt sich in Bewegung. Kurz darauf überqueren wir den Nil. Der Schaffner klopft und fragt, ob Chicken zum Abendessen auch ok ist. Das bei der Buchung ausgewählte Meat gibt es scheinbar nicht mehr. Ja, ist ok. Entscheide und antworte ich einfach mal, meine Ehefrau wird in Ägypten nichts gefragt…








 Nach dem leckeren Abendessen haben wir uns vom Schaffner die Sitzbank in ein Bett umbauen lassen und uns schon bald für Schlafen entschieden. Der Zug wackelt, holpert, springt - ja tanzt förmlich über die abgefahren Gleise. Man muss den Kopf Richtung Wand drehen, um weniger Nikotingeruch abzukriegen, der durch die Lüftung reinkommt. Trotzdem schlafe ich bald ein. Und werde sehr bald wieder geweckt vom ständigen Schlagen der Eisenkette auf den metallenen Türrahmen. Eigentlich ist die Kette dazu da, die Tür verriegeln zu können, der Mechanismus funktioniert aber nicht mehr. Also macht sie einfach nur Lärm. Ich versuche, sie in ein Loch zu stopfen. Ich versuche, sie mit sich selbst zu verketten. Jeder Erfolg ist nur von kurzer Dauer und ich werde wieder vom Metallschlag geweckt. Bis mir die rettende Lösung kommt: ich wickle mein Stirnband so um die Kette, dass der Aufschlag auf den Türrahmen gedämpft wird. Es funktioniert! Zufrieden schlafe ich ein - und werde im tanzenden Nachtzug überraschend gut schlafen.

Als ich gegen 7 Uhr aufwache, erreicht der Zug gerade Luxor. Hierher werden wir in ein paar Tagen zurückkehren und uns die bekannten Tempel anschauen. Heute hingegen geht es weiter nilaufwärts durch die sogenannte größte Oase der Welt. Palmen und grüne Felder im Tal, gelbe Wüste auf dem Hügel im Hintergrund. Schönes Sonnenaufgangslicht versetzt auch die Gebäude in ein gelbliches Licht. Allerdings sehen alle Fotos beige aus, weil die Scheibe so verdreckt ist.

Palmen stehen auch in Italien. Aber man sieht auf den ersten Blick: das hier ist etwas anderes. Das ägyptische Niltal ist anders als alles, was ich bisher gesehen habe. Ich döse noch ein bisschen und genieße die Aussicht.

Die Landwirtschaft ist äußerst kleinteilig und arbeitsintensiv. Der Esel wird im Schatten geparkt, die alte Bäuerin rupft den Mais und stopft ihn in einen riesigen weißen Sack. Sie müsste wohl viele Jahre Mais rupfen, um sich eine Fahrt im vorbeifahrenden Nachtzug leisten zu können...



Der Schaffner klopft. Er bringt uns unser Frühstück und fragt, ob wir Tee oder Kaffee wünschen. Schnell umziehen und Zähne putzen, dann können wir Gebäck, Käse aus der Tube und Guavesaft genießen. Und den Teil des Nescafés, der nicht bereits vom Schaukeln des Zuges über den Becherrand gekippt wurde.



Der Schrankenwärter tritt aus seinem Häuschen, um Night Train 86 zu grüßen. Nach der Durchfahrt kann er die Schranke wieder hochkurbeln.

Auf dem Nil ist ein Fischer auf seinem kleinen Holzboot unterwegs. Gleich wird er von einem mehrstöckigen Kreuzfahrtschiff in den Schatten gestellt.

Wir fahren kurzzeitig an einer Straße entlang. Auf dem weißen Transporter sitzen vier Männer auf dem Dach. Auf der Ladefläche des Pick-Ups sitzen noch mehr Menschen. Am Bahnübergang stauen sich Tuk-Tuks.

Wir halten in Kom Ombo. Alte Güterwagen vor einer schick sanierten Moschee vor einem hässlichen Industriekomplex. Das ist der letzte Zwischenhalt vor Assuan, in etwa 45 Minuten werden wir da sein. Schade eigentlich.





Einen letzten größen Höhepunkt gönnen wir uns vor der Ankunft in Assuan noch: ein kurzer Besuch im Speisewagen. Der Anfang der 80er von Messerschmitt-Boelkow-Blohm in Donauwörth gebaute Wagen wirkt wie eine Zeitreise in einen Schwarz-Weiß-Film. In den bequemen Sesseln im hinteren Teil des Wagens rauchen zwei Männer, während uns der Barkeeper zwei Kaffees zubereitet. 

Wir haben jetzt Assuan und Abu Simbl vor uns. Aber beeindruckender als dieser Nachtzug kann das eigentlich gar nicht werden.