Eine Szenerie wie in einem Clint Eastwood-Western. Wir stehen an einem verlassenen Bahnhof. Der Fahrkartenschalter ist geschlossen; die Toilette ist geschlossen; niemand hier. Ob heute wirklich noch ein Zug fahren wird am Bahnhof Šibenik? Wir sind gespannt.
Irgendwann
rumpelt es am Bahnsteig. Tatsächlich: Ein kleiner Triebwagen kommt
angeschaukelt. Er ist in die Jahre gekommen und vollgesprayt, aber es
gibt ihn wirklich.
„Kalkmar Verkstad 1981“ steht auf der
Plakette neben der Eingangstür. Der Triebwagen kommt also aus Schweden
und ist über 40 Jahre alt. Eine gute Klimaanlage hat er nicht, aber
Charme hat er. Man kann wählen zwischen Fenstern, durch die unerbittlich
die Sonne knallt und Fenstern, die so zugesprayt sind, dass man fast
nicht mehr rausschauen kann. Ich wähle Option 1 und schwitze vor mich
hin, während ich den Blick über Olivenbäume, Steinmauern und
Industrieruinen schweifen lasse.
Der
kleine schwedische Triebwagen schaukelt uns zwei deutsche Touristen und
ein paar Handvoll Einheimische durch das kroatische Hinterland. Mitten
zwischen den Olivenbäumen liegt auf einmal ein kleines Boot. Weit und
breit kein Wasser in Sicht. Das Boot hat hier irgendwann mal jemand
abgestellt. Warum auch immer. Ein paar hundert Meter weiter steht ein
alter Wohnwagen zwischen den Bäumen. Weit und breit keine Straße in
Sicht. Den Wohnwagen hat hier irgendwann mal jemand geparkt. Warum auch
immer.
Man könnte jetzt im Botanik-Lehrbuch „mediterrane
Vegetation“ nachschlagen und nachlesen, was wir so alles sehen, wenn wir
aus dem Fenster schauen. Hier wächst alles, was in diese Kategorie
gehört. Nach einer stundenlangen Autofahrt mit Blick auf Asphalt,
Verkehrsschilder, Gewerbegebiete und andere Autos genieße ich es,
einfach nur Natur zu sehen. Oder das, was der Mensch daraus gemacht hat:
Feldsteinmauern und Olivenbaumplantagen sind ja nichts natürliches, es
ist Kulturlandschaft. Eine der schönsten, die in Europa geschaffen
wurden.
Je
weiter sich der Zug den Hang hinaufschraubt, desto mehr wird die
Vegetation durch Steine ersetzt. Heller Kalkstein prägt die umliegenden
Hügel. Schwarzes Gehölz zeugt von einem Waldbrand.
„Kannst du
bitte mal nachschauen, wann wir umsteigen müssen? Ich hab kein
Internet.“ - Kurze Recherche. - "HIER, das müsste es sein!" – Hals über
Kopf stürmen wir aus dem Zug. Die Schaffnerin hatte also doch uns
gemeint, als sie zum ersten Mal auf der Fahrt einen Stationsnamen
(Perković) angesagt hat.
Der
Bahnhof Perković ist so schön, man müsste ihn erfinden, wenn es ihn
nicht gäbe. Die sieben Minuten Umstiegszeit sind Eisenbahnromantik pur.
Dieseltriebwagen aus drei Richtungen treffen sich, alle drei auf die
Minute pünktlich. Das Fahrpersonal schwätzt ein bisschen miteinander. Am
Ende des Wasserschlauches steht eine ältere Dame und erfrischt sich.
Man zeigt uns unbeholfenen Touristen, welcher der drei Züge nach Split
weiterfährt. Dann kann es für alle weitergehen und der Bahnhof für die
nächsten Stunden ungestört weiterschlafen.
Der
Triebwagen nach Split ist deutlich moderner – und sehr vertraut: Blaue
Sitze mit schwarzen Vierecken. Die kennen wir doch? Das Sitzmuster der
Deutschen Bahn. In der Tat wurden diese „Pendolino“-Triebwagen der
kroatischen Baureihe 7123 aus einer für die DB gebauten Serie entnommen.
Indem
wir die Küste verlassen haben, haben wir uns in ein anderes Zeitalter
gebeamt. Kleine Dorfbahnhöfe mit Bahnhofsvorstehern erwarten mehrmals am
Tag einen Zug, der hier vor der alten Telefonleitung kurz zum Stehen
kommt. Gute alte Zeit. Die Reben rund um den Bahnhof hängen voller
Trauben. Da läuft einem im Vorbeifahren das Wasser im Mund zusammen.
Preslo
ist so ein Bahnhof, bei dem man nicht versteht, warum hier ein Bahnhof
ist. Weit und breit ist kein Dorf zu sehen. Niemand steigt ein, niemand
steigt aus. Aber aus Prinzip bleiben wir stehen.
Vor
Prgomet geht es durch einen kurzen Tunnel. Danach ist die Landschaft
endlich mal ein bisschen langweiliger, sodass ich Notizen zur Fahrt
machen kann. Aber es ist absolut verständlich, dass jeder, der schonmal
mit dem Zug nach Split gefahren ist, von der Bahnfahrt dorthin schwärmt.
Diese Strecke ist ein Traum.
Der magische Moment der Fahrt ist
der, als die Tunnelwand endet und man plötzlich und unerwartet auf die
Adria blickt. Die Einheimischen im Zug müssen mich für völlig bekloppt
halten: Warum läuft der Typ mit der Kamera in der Hand von Fenster zu
Fenster und fotografiert ständig in unterschiedliche Richtungen? – Weil
es unglaublich toll aussieht! Alles hier ist schön! Die Vegetation, die
Berge, die Adria. Sogar die Klimaanlage gefällt uns.
In
weiten Schleifen durch Felseinschnitte und über hohe gemauerte Dämme
windet sich die Strecke hinab ans Meer. Man blickt auf das überraschend
große Split und mehrere unterschiedlich große Inseln. Vorbei an großen
Industriekomplexen, mit Vollgas durch einen letzten Tunnel, dann kommt
der Triebwagen am Endbahnhof Split zum Stehen. Schade, dass wir schon da
sind. Auf dieser Strecke könnte ich noch ewig weiterfahren.