Einführung
Einst gab es auf dem Peloponnes ein großes Schmalspur-Eisenbahnnetz. Davon sind noch einzelne Überbleibsel erhalten:
- In Nafplion erinnert eine Dampflok mit ein paar Waggons an die frühere Strecke aus Korinth.
- In Kalamata stehen im „Municipal Railway Park“ am alten Hafenbahnhof einige Lokomotiven und Waggons, das Bahngleis verwandelt sich aber schon nach wenigen Metern in einen Fahrradweg.
- Alte Gleise – teilweise kurz vor der Betriebseinstellung 2011 frisch saniert – erinnern an die alten Bahnstrecken aus Korinth und Patras nach Kalamata.
Die
Hauptstrecke aus Athen über Korinth nach Patras ist mittlerweile bis
Kiato normalspurig ausgebaut und elektrifiziert; von Katio über Diakopto
weiter bis Egio fehlt noch die Oberleitung, hier fährt mehrmals täglich
ein normalspuriger Dieseltriebwagen; zwischen Egio und Patras fehlt
noch alles: Das alte Schmalspurgleis ist schon weg, aber das neue
Normalspurgleis wurde noch nicht verlegt.
Abgesehen von dieser normalspurigen Hauptstrecke gibt es drei Schmalspurbahnen, die heute noch in Betrieb sind:
- Katakolo – Pyrgos – Olympia, die Strecke dient vor allem Touristen auf dem Weg zu den Ausgrabungsstätten von Olympia
- Kato Achea – Patras – Rio, die im Stundentakt von Dieseltriebwagen befahrene Strecke ist sozusagen die S-Bahn von Patras
- Diakopto – Kalafryta, die Zahnradbahn ins Gebirge ist eine bekannte Touristenattraktion – und zugleich ein Wanderweg.
Wenig überraschend wollte ich auf unserer Peloponnes-Reise alle drei Strecken fahren. Hab ich auch gemacht:
Katakolo - Olympia
Mit
großer Vorfreude auf die anstehende Bahnfahrt kommen wir in Katakolo
an, wo einmal pro Tag ein Zug nach Olympia fährt. Aber die große
Enttäuschung: der Bahnhof ist völlig verwaist, der Fahrkartenschalter
ist geschlossen, der Zug fährt scheinbar nicht. Am Fahrplanaushang steht
„* Train itinerariers that are scheduled only during the days with
cruise ship arrival.” Keine Ahnung, worauf sich das “*” bezieht, aber
wahrscheinlich fährt der Zug heute nicht, weil kein Kreuzfahrtschiff
ankommt.
Etwas frustriert trinken wir einen Kaffee an der
Hafenpromenade, als es am Horizont plötzlich hupt. Und nochmal. Und
nochmal. Das wird doch nicht – doch, das ist er! Der Zug! Ein
schmalspuriger Stadler-Triebwagen quietscht in den Bahnhof. Er fährt
also doch. Ein Ticket kann man bei der freundlichen Schaffnerin kaufen.
Ein paar andere Fahrgäste steigen ebenfalls in den bequemen, aber
stinkenden Zug, der sich pünktlich um 8:40 Uhr in Bewegung setzt.
Mit
30 km/h schaukeln wir durch die Vorgärten von Katakolo. An einem
unbeschrankten Bahnübergang bleiben wir plötzlich stehen. Und öffnen die
Türen. Tatsächlich: Das ist eine Haltestelle mit kleinem Bahnsteig.
Zwei alte Männer steigen ein. Weiter geht's. Draußen Felder, die nach
Frühnebel aussehen, aber nach illegaler Müllverbrennung riechen.
Auf
dem weiteren Weg nach Pyrgos beschleunigt der Zug auf 65 km/h. Pyrgos
ist der Betriebsmittelpunkt, hier gibt es auch ein kleines Depot. Früher
war hier der Kreuzungsbahnhof mit der Hauptstrecke nach Patras und
Kalamata, die seit 2011 außer Betrieb ist. Heute gibt es nur noch den
Inselbetrieb Katakolo - Olympia. Rund um den Bahnhof zeugen verschiedene
Fahrzeuge in unterschiedlich desolatem Zustand, dass hier einmal mehr
los war.
Hinter Pyrgos zeigt das GPS-Gerät 75 km/h. Wirklich
bequem ist das nicht auf den abgefahrenen Gleisen. Der Zug schaukelt und
knarzt. Aber er macht das ja fast jeden Tag, da wird es auch heute ohne
Entgleisung klappen.
Der Lokführer raucht gemütlich an seinem
Zigarillo, während er den Triebwagen durch eine fruchtbare Ebene voller
Oliven- und Obstbäume schaukelt. Müpp-Müpp-Müüüp tönt es immer mal
wieder von vorne, wenn der Zug kleine Feldwege quert. Immer wieder
queren wir Bewässerungskanäle. Der Regen aus den Bergen wird in der
trockenen Ebene verteilt.
Der Bahnhof in Olympia liegt sehr
praktisch neben dem Ortszentrum und nicht weit von der bekannten
Ausgrabungsstätte. Wir haben gut dreieinhalb Stunden Zeit, um uns diese
anzuschauen, um 13:10 Uhr fährt der letzte Zug zurück. Die Schaffnerin
erklärt den Fahrplan mit dem Klimawandel: Nachmittags ist es in Olympia
mittlerweile schlicht und ergreifend zu heiß, um sich dort die
Ausgrabungsstätte anzuschauen. Da lässt es sich im klimatisierten Zug
deutlich besser aushalten.
Patras Suburban Railway
Das Bahnhofsgebäude schaut sehr mitgenommen aus. Fehlende Scheiben, kaputte Türen, viel Müll. Einen Schriftzug „Axaia“ gibt es noch und ein frisch betonierter Weg mit Blindenleitstreifen führt genau auf das kaputte Gebäude zu. Fahren hier wirklich noch Züge? Richtung Westen stehen ein paar kaputte Güterwagen, das Gleis verliert sich im zugewachsenen Nirgendwo. Hier fährt (seit 2011) definitiv kein Zug mehr. Richtung Osten jedoch: ein neuer betonierter Bahnsteig. Ein Gleis, das befahrbar aussieht und tatsächlich (seit 2020 wieder) regelmäßig befahren wird. Vor allem aber: ein blauer Container, auf dem ein Fahrplan hängt. Und in dem ein Mensch sitzt, der Tickets verkauft. Ich kann ein Ticket kaufen (wann kommt man schonmal für 3 € nach Rio?) - da wird es doch wohl auch einen Zug geben?!
Um
8:56 Uhr soll der Zug ankommen, der um 9 Uhr wieder zurückfährt nach
Patras und weiter nach Rio. Er kommt nicht pünktlich, aber er kommt.
Schneller Fahrtrichtungswechsel, und mit 5 Minuten Verspätung geht es
wieder zurück.
Der kleine Dieseltriebwagen fungiert als „Patras
Suburban Railway“. Aus vielen Scheiben kann man nicht mehr
herausschauen. Der Wagen stinkt, wie wenn man den Dieseltreibstoff
direkt in die Klimaanlage einspritzen würde. Unglaublich, dass dieser
rollende Schrotthaufen gerade einmal rund 20 Jahre alt ist. Griechenland
pflegt Antikes deutlich besser als Modernes...
Anders als der
Triebwagen weiß die Strecke zu begeistern. Schon auf den ersten
Kilometern geht es direkt am Meer entlang, in Fahrtrichtung links blickt
man auf brechende Wellen und im Hintergrund auf die 2004 eröffnete
Rio-Andirrio-Brücke, die die gleichnamige Meerenge überbrückt.
Am
Bahnhof Tsoukaleika steht überraschend eine riesige Kirche neben dem
Bahngleis. Sie scheint recht neu zu sein. Ich hoffe, dass sie trotzdem
gut gepflegt wird.
Mit 85 km/h schmeißt sich der Zug danach über
die schlecht verlegten Gleise. Alle Variationen von mediterraner
Vegetation fliegen am Fenster vorbei. Kinder spielen Basketball. Alte
Fabriken verfallen vor sich hin. Autos warten am Bahnübergang.
Balkonblumen blühen um die Wette. Der kleine Triebwagen fährt direkt an
den Häusern und Gärten vorbei. Heute würde man hier wohl einen Tunnel
bauen, „not in my backyard“ war beim Bau dieser Bahnstrecke noch kein
verbreitetes Phänomen.
An der Station Agios Andreas müssen alle,
die weiterfahren wollen, den Zug wechseln. Ab hier sind es zwei
aneinandergekoppelte Rumpelkisten, die durch Patras eiern. Der Zug ist
jetzt deutlich voller, offensichtlich sind wir jetzt in der Innenstadt.
Der Schaffner schwätzt noch ein bisschen mit der Reinigungskraft auf dem
Bahnsteig, dann geht es weiter. Auf einem schmalen Gleis, eingezwängt
von Grundstückbegrenzungsmauern, mitten durch städtisches Gebiet.
Bald
darauf geht es erneut direkt am Wasser entlang. Schiffe zur Linken,
Kirchtürme und Kaffeehäuser zur Rechten. Der Zug wackelt mit 13 km/h
durch das Zentrum von Patras. Das ist immer noch zu schnell, um alles
erfassen zu können. Eine spannende Bahnstrecke mitten durch eine
spannende Stadt. Das ebenfalls spannende Betriebswerk schaut aus wie
ein Museum, scheint aber noch in Betrieb zu sein.
An der Station Panachaiki endet das Sightseeing-Gebummel, jetzt geht es wieder etwas schneller voran. Die Bebauung lockert allmählich wieder auf, die Häuser werden wieder kleiner und die Vegetation dichter. Noch zehn Minuten Gehämmere auf den nicht verschweißten Gleisen, dann erreichen wir Rio. Hier endet das Schmalspurgleis, die Suburban Railway fährt nach wenigen Minuten Aufenthalt wieder zurück. Eigentlich sollte hier schon längst ein Normalspurgleis liegen und die Bahnstrecke Athen – Patras – beschleunigt, begradigt und auf Normalspur umgespurt – wieder durchgehend befahrbar sein. Aber bis das soweit sein wird, kann man an der Uferpromenade von Rio noch viele Café frappé genießen.
Diakopto – Kalafryta
22
Kilometer lang, 750 mm breit, bis zu 14 % steil: so kann man die
Zahnradbahn Diakopto – Kalvryta in Zahlen fassen. Ich könnte sie in
Worte fassen und vom sächsischen Rentner und dem sizilianischen
Kalifornier schreiben, mit denen wir die Fahrt verbracht haben. Ich
könnte mich beeindruckt über die Vouraikos-Schlucht und die Brücken über
selbige äußern. Aber ich lasse in diesem Fall lieber die Bilder und
Videos sprechen. Wer die gesehen hat, der versteht wahrscheinlich, warum
wir die Fahrt so toll fanden – und warum wir uns auf der Rückfahrt in
Mega Spileo spontan entschieden haben, dass wir jetzt doch nicht zum
gleichnamigen Kloster wandern wollen, sondern dass wir auf der
Bahntrasse durch die Vouraikos-Schlucht zurück ins Tal wandern wollen.
Ja, AUF der Bahntrasse. Wir wollten das auch nicht glauben, als es der
Wanderführer empfohlen hatte. Angeblich ist die Bahntrasse Teil eines
Europäischen Fernwanderweges. Man muss halt den Fahrplan kennen und
sollte nicht Tunnel oder Brücke betreten, wenn bald ein Zug kommt. Aber
wir waren nicht die einzigen Wanderer auf der Trasse. Und wir waren
komplett begeistert. Diese Wanderung wird uns noch lange in Erinnerung
bleiben.