Der erste richtige Ruhetag auf unserer Radreise von Sylt nach Oberstdorf. Zehn Tage lang haben wir unsere Beine gequält, hat der Wind uns gequält, hat Kopfsteinpflaster unsere Fahrräder gequält. Zeit für einen Tag ohne Qualen. Endlich ein echter Ruhetag. Mit der Schmalspurbahn durch den Harz bimmeln und durch kleine Fachwerkstädtchen tingeln, so ist unser Plan. Die Busse im Landkreis Harz können wir mit unserer Gästekarte kostenlos nutzen, aber „drüben“ bei der Goslarer Verkehrsgesellschaft gilt das Ticket nur bis Braunlage. 30 Jahre nach der Wiedervereinigung spricht unser Vermieter immer noch von „drüben“, wenn er die Nachbargemeinde in Niedersachsen meint. Sind wir wirklich ein Volk? Oder ist die Mauer in den Köpfen nie gefallen? Vielleicht gilt ja: Je näher man dran ist an der früheren Grenze, desto präsenter ist sie noch. Nicht als Erinnerung, sondern tatsächlich als Grenze.
Umstieg in Eisfelder Talmühle. Weiter nach Harzgerode – wo mir der Geldautomat einen dicken Bündel an 5-Euro-Scheinen ausspucken wird – geht es mit einem rauchenden Kauz im Führerstand. Der Triebwagen ist Baujahr 1955, der Lokführer mutmaßlich älter. Während er mit Tempo 20 durch das Selketal zuckelt, pafft er an seiner Zigarette. Neben Wolfgang und mir gibt es noch einen dritten Fahrgast, einen Eisenbahnliebhaber aus der Schweiz, der auch schon im vorherigen Zug der einzige andere Fahrgast war. So schaut Eisenbahnromantik aus. Ein kostendeckender Betrieb schaut natürlich anders aus, aber der ist in Corona-Zeiten nicht möglich.
Ohrwurm der Reise ist weiterhin Rainald Grebe mit „Urlaub in Deutschland“. Im Harz denken wir mehrmals an die Textzeile „wenn man immer nur den Osten mästet, das rächt sich“. In Sachsen-Anhalt alles fein rausgeputzt, auf der niedersächsischen Seite sieht es aus wie Wladiwostok 1964. Zum Glück liegt Quedlinburg in Sachsen-Anhalt. Die Stadt ist ein totaler Traum, wir sind vollends begeistert von der Fachwerkpracht. Und freuen uns, dass man sie im Pandemiesommer 2020 ohne große Menschenmassen besichtigen kann.
Über Blankenburg und Elbingerode fahren wir zurück nach Elend, wo wir den Ruhetag in unserem sonnigen Garten ausklingen lassen und neben unserer Wäsche abhängen.


