Unsere Radreise 2020 sollte eigentlich durch Großbritiannien führen, das hat Corona verhindert. Unser Plan B: Eine Radreise von Sylt nach Oberstdorf. Das haben wir dann auch gemacht. Problematisch daran war - wie so oft - nur die Anreise mit der Deutschen Bahn.
Stuttgart Hauptbahnhof. Ein kleines Mädchen fragt: „Papa, was macht der da?“ Der Vater antwortet: „Der fotografiert sein Fahrrad.“ Ja, das hab ich gemacht zu Beginn der Reise. Auch um zu dokumentieren, wie schön sauber das Fahrrad noch ist. An und für sich ist es eine feine Sache, dass man im IC für das Fahrrad einen Stellplatz reservieren kann. Ich habe Stellplatz Nummer 147 reserviert. Dumm nur: Nach Stellplatz Nummer 146 kommt die 148. Es gibt keine Nummer 147. Was kann die Bahn eigentlich?
Mönchengladbach Hauptbahnhof. Auf dem Bahnsteig eine Bank. Auf der Bank ein älterer Herr, der sich am hellichten Tag einen Joint anzündet. Die 5,0er-Bierdose steht neben seinem rechten Schuh. Dieser Mann ist mein erster Eindruck von Mönchengladbach.
Zugansage zwischen Mönchengladbach und Duisburg: „Sehr geehrte Fahrgäste, ich möchte Sie darüber informieren, dass die Fahrt in Kürze fortgesetzt wird. In Kürze heißt immer noch in unbestimmter Zeit. Aber ich kann Ihnen mitteilen, dass dieser Zug heute in Duisburg Hauptbahnhof enden wird.“ Wir stehen schon ziemlich lange irgendwo im Nirgendwo. Der Anschlusszug in Duisburg wartet natürlich nicht. Was kann die Bahn eigentlich?
Es gibt keine Möglichkeit, eine Fahrradreservierung zu machen für einen Zug, der schon unterwegs ist. Glaubt der Mann am Servicepoint im Duisburger Hauptbahnhof zumindest, wissen tut er es nicht. Statt zwei Stunden auf den nächste IC zu warten, bei dem ich nicht weiß, ob er noch einen freien Fahrradstellplatz hat, hangele ich mich schonmal mit Regionalzügen weiter. Im besten Fall komme ich mit nur 2 Stunden Verspätung in Hamburg an. Weil das Ticket bis Westerland ausgestellt ist, gibt es nicht mal Geld zurück. Jetzt weiß ich, was ich monatelang nicht vermisst habe, als man in der Pandemie keine Fernreisen mit der Bahn machen konnte. Was kann die Bahn eigentlich?
In NRW sind die Züge ziemlich voll. Abstand halten braucht man hier scheinbar nicht, viele tragen auch im Zug keine Maske. Es ist völlig irre, was hier abgeht. Schaffner, die mir mit dem Finger übers Handy wischen (weil sie mir nicht glauben, dass ich eine Fahrradkarte habe…) gibt es in BW auch nicht. Echt krass, wie viel anders anderswo mit der Corona-Krise umgegangen wird. Mittlerweile ist es wohl amtlich, dass ich heute noch nach Hamburg komme, der Schweizer (!) Eurocity, in den ich in Osnabrück einsteige, hat noch Platz fürs Fahrrad. Es ist der erste saubere Zug des Tages, pünktlich ist er auch. Die Schweizer Bahn kann was.
Am nächsten Morgen geht es weiter, wie es am Abend zuvor aufgehört hat: Der Zug von Hamburg-Altona nach Westerland fällt aus bzw. fährt erst ab Elmshorn. Der nächste Zug nach Elmshorn fährt ab Hamburg-Dammtor, da verpasse ich ihn aber um 2 Minuten. Dann steige ich in eine falsche S-Bahn... Ich drehe mich eineinhalb Stunden im Kreis und finde keinen Zug Richtung Norden. Die Pointe ist: Wolfgang, der heute Morgen in Berlin gestartet ist, sitzt jetzt in einem Zug nach Westerland. Ich, der ich in Hamburg gestartet bin, habe es nicht geschafft, diesen Zug in Elmshorn zu erreichen...
Hoffentlich kann man nächstes Jahr wieder auf den Balkan oder in den Kaukasus, für Urlaub in Deutschland habe ich zu schwache Nerven. Nach dem eigentlich geplanten Abend mit Christoph und Malina in Hamburg versaut mir die Bahn nun auch den Abstecher an den nördlichsten Punkt Deutschlands? Nein, tut sie nicht! Voller Überzeugung schreibe ich Wolfgang: „Ich fahr notfalls morgen früh um 4 über den Damm, aber ich komm ans Ende, das kannst du mir glauben!“
„So ein Mist. Heute ist ja nur Scheiße“, sagte der Infomitarbeiter auf dem Bahnsteig in Elmshorn, bevor er bemerkte, dass ich schon in seinem Kabuff stehe. Weiterhelfen kann er mir leider nicht, aber auf mein Fahrrad aufpassen, während ich rüber in die Schalterhalle zum Reisezentrum gehe und versuche, einen IC-Stellplatz zu reservieren, das kann er. Lesson learned: Man kann doch Fahrradstellplätze für ICs buchen, die schon unterwegs sind. Wenn man – anders als gestern in Duisburg – auf kompetentes Personal trifft. Aber nur, wenn es noch freie Stellplätze gibt. Gibt es heute aber nicht. Der zeitaufwendige Versuch, einen Stellplatz für den IC zu reservieren, war ohnehin völlig umsonst, weil der IC – den ich laut Fahrplan in Itzehoe hätte erreichen können – jetzt einfach hier in Elmshorn durchgerauscht ist, während mein Zug weiterhin nicht im Entferntesten daran denkt, sich irgendwann mal in Bewegung zu setzen.
Ich habe Wolfgang gebeten, mir aus Sylt eine Postkarte zu schicken, ich glaube nicht mehr, dass ich da jemals hinkommen werde… Gut drei Stunden nach dem Start in Hamburg bin ich immer noch in Elmshorn. Mit dem Fahrrad wäre ich schon weiter. Was kann die Bahn eigentlich?
„Aufgrund einer Lokstörung werden wir gleich zum Halten kommen und versuchen, die Störung zu beheben.“ Kein Scherz. Es wird nun ein „Lok-Reset“ durchgeführt. Ja, das haben sie wirklich so gesagt. Um 13:33 Uhr in St. Michaelisdonn müssen alle aus dem RE 11014 aussteigen, der nächste Zug soll uns mitnehmen. Nun also schon zwei Stunden Verspätung, wie gestern. Was mich noch mehr nervt als die zwei Stunden Verspätung sind die beiden hanseatischen Zweitwohnsitztrullas ein paar Sitzreihen weiter, in deren Kopf sich mehr Botox als Hirn befindet und die kein Gespür haben für die Lautstärke, mit der sie ihre Dummheit im Waggon verbreiten. Diese angehenden Pfeffersackwitwen sollen einfach mal die Klappe halten. Ich will endlich an die Nordsee, ich verliere den Verstand.
Es geht weiter. Endlich. Die Ankunftszeit in Westerland wird jetzt auf 16 Uhr prognostiziert. Laut Fahrplan wäre es 13:37 Uhr gewesen... Um 16:08 Uhr komme ich tatsächlich endlich in Westerland an. Die 257 km von Hamburg hierher habe ich mit einer Reisegeschwindigkeit von 40 km/h zurückgelegt. Aber immerhin: Ich bin endlich da. Vielen Dank für Nix, Deutsche Bahn.


