Der Text ist zusammengesetzt aus Beiträgen meines Reiseblogs "Mit Bus und Bahn nach Teheran - Kaukasus 2017".
Abschiedsbier in München
Kai, Elli, Lena, Peter, Flo. Und natürlich Arnika, die ab jetzt bis
Teheran dabei sein wird. Was für eine coole Gruppe. Wie schön, dass sie
alle zum Bahnhof gekommen sind. Und mit uns noch ein Abschiedsbier
getrunken haben. Paulaner hell aus dem Holzfass. Während der Rest der
Gruppe in München bleibt, belegen Arnika und ich die Liegen 31 und 33 im
kroatischen Liegewagen mit der Nummer 272. Die anderen Waggons sind
morgen früh in Budapest, Venedig und Rijeka, wir hoffentlich in Zagreb.
Jetzt gibt’s kein Zurück mehr, jetzt geht’s richtig los.
Was für eine coole Gruppe. |
Ankunft in Zagreb
Die Nachtzugfahrt verlief recht störungsfrei, auch wenn das Liegeabteil
schon sehr eng (und die Liege natürlich zu kurz) war. Die 20 Minuten
Verspätung sind nicht der Rede wert, wir haben trotzdem genug Zeit, um
sie in der schönen Altstadt von Zagreb zu vertrödeln. Fühlt man sich im
Gründerzeitviertel vor dem Bahnhof noch nach Wien versetzt, so wirkt der
Platz am Markt, an dem wir gerade sitzen, schon eher osteuropäisch. Was
auch immer das heißen soll.
Von Zagreb nach Belgrad
Ich hoffe, es wird auf der restlichen Reise nie wieder eine Zugfahrt
geben, die so langweilig und unbequem wird wie die von Zagreb nach
Belgrad. Die hässlichen verregneten Vorstädte von Belgrad waren eine
Erlösung, weil klar war, dass wir den grauenhaften Klappsitz, den
Fäkalgeruch und die Tür zum Nachbarwaggon, die wir alle paar Minuten
gewaltvoll schließen mussten, um nicht zu erfrieren, bald los sind.
Sechs Stunden auf einem Sitz, der unbequemer ist als jeder
westeuropäische U-Bahnsitz. Dabei hätten wir sogar zwei
Sitzplatzreservierungen gehabt. Aber die hatten in diesem Zug eher
empfehlende Wirkung. Ich hatte mich auf jeden Fall nicht getraut, mit
unseren deutschsprachigen Tickets, die hier sicher niemand versteht,
zwei ältere Mitreisende von ihren Plätzen zu vertreiben. Also Klappsitz.
Immer noch besser als Stehplatz, davon gab es auch einige.
Sechs Stunden auf einem Sitz, der unbequemer ist als jeder westeuropäische U-Bahnsitz. |
Die hässlichen verregneten Vorstädte von Belgrad waren eine Erlösung |
So langweilig die Fahrt durch die immer gleichen Maisfelder war, so spannend ist Belgrad selber. Überrascht hat mich die Stadt nicht – seit meinem letzten Besuch vor zwei Jahren hat sich außer einem neuen Einkaufszentrum in der Fußgängerzone nicht viel verändert – aber gefallen hat sie mir erneut. Der Kontrast aus kaiserlich-königlichem Prunk und sozialistischer Nüchternheit sowie überdimensionierten Schnellstraßen und engen Hinterhof-Einfahrten; die Lage am Berg mit stetigem Auf und Ab; der Blick von der weitläufigen Festungsanlage auf den Zusammenfluss der Save und der beeindruckend breiten Donau; das durch und durch touristifizierte und dennoch sehr attraktive Künstlerviertel Skardarlija – das hat schon was. Auch wenn man Belgrad jetzt nicht unbedingt als schön bezeichnen kann: Spannend ist es allemal. Man kann im Stadtbild ein bisschen Balkan-Geschichte ablesen – von osmanischen Kaffeehäusern bis NATO-Bombardement. Und man hier lecker essen: Unser „Ethnic restaurant Zavičaj” hat die mehr als 30 Minuten Wartezeit vor der Tür gelohnt. Interessanterweise waren gefühlt 50 % der Gäste Italiener (wahrscheinlich waren es nur 5 %, aber Italiener sind einfach zehnmal so laut wie alle anderen), was wir als gutes Zeichen gewertet haben: Wo Italiener sind, gibt es gutes Essen.
Start in Belgrad mit dem Balkan-Express
Der „Balkan-Express“ besteht aus einer Lokomotive und zwei Waggons.
Beide Waggons haben eine Nummer, aber keine davon ist die 486, für die
wir eine Reservierung haben. Unsere Überlegung, die Fahrkarten bis
Istanbul schon in Deutschland zu kaufen, damit es nicht passieren kann,
dass ein Zug ausgebucht ist, war also unsinnig. Die Deutsche Bahn verkauft einfach Tickets für Waggons bzw. Zugteile, die es vor Ort gar nicht gibt. Ob
unser Zug bis in die Türkei durchfährt oder wir heute Abend in Sofia
stranden – keine Ahnung. Aber erstmal haben wir, ganz anders als
gestern, einen bequemen Sitzplatz in einem uralten 1. Klasse-Waggon (der
2. Wagen ist ein alter DB- bzw. DDR-Wagen mit unbequemen Sitzen;
Liegewagen oder Speisewagen gibt es trotz voraussichtlich 22 Stunden
Fahrzeit nicht) und rumpeln mit 10 km/h vorbei an einem
Eisenbahnfriedhof – oder wie man in Serbien sagt: Betriebswerk. Der
absurde Hauptbahnhof der Hauptstadt Belgrad – ohne funktionierende
Abfahrtsanzeiger und Durchsagen, dafür mit dem vielleicht hässlichsten
Bahnhofsvorplatz Europas und ganz viel Gute-Alte-Eisenbahn-Flair, liegt
hinter uns. Eine lange Reise in einem kurzen Zug liegt vor uns.
Der „Balkan-Express“ besteht aus einer Lokomotive und zwei Waggons. |
Der vielleicht hässlichste Bahnhofsvorplatz Europas |
vorbei an einem Eisenbahnfriedhof – oder wie man in Serbien sagt: Betriebswerk |
Keine Spur von Orient-Express
Der Balkan-Express folgt den Spuren des Orient-Express. Was muss das früher für ein Erlebnis gewesen sein, in den stilvollen luxuriösen Waggons des Orient-Express nach Konstantinopel zu gleiten. Heute rumpeln wir stattdessen in zwei Uralt-Waggons, aus denen man vor lauter Graffiti kaum rausfotografieren kann, mit aktuell 28 km/h über marode Gleise. Komfortabel ist es heutzutage nur noch bedingt, mit dem Zug durch den Balkan zu fahren. Aber wenn wir Komfort gesucht hätten, wären wir nach Skandinavien oder in die Schweiz gefahren. Wir haben eine spannende, abwechslungsreiche Reise gesucht. Und die haben wir gefunden. Der Fluss ist blutrot gefärbt vom starken Regen der vergangenen Tage. Die Bäume sind gelb-rot gefärbt von der unerbittlichen Hitze in den Wochen zuvor. Die verdorrten Äcker dazwischen sind braun. Die alten Sitze, die so viel bequemer sind als die gestrigen Klappsitze, waren wohl irgendwann einmal leuchtend blau. Nach dem Fahrtrichtungs- und Lokwechsel in Nis rumpeln wir gerade durch eine enge Felsschlucht und somit den bislang schönsten Abschnitt der Reise. Die Bahnstrecke Belgrad – Sofia ist sehr viel schöner als erwartet. Meine Erwartung kommt daher, dass ich vor zwei Jahren – als es keinen durchgehenden Tagzug gab – mit dem Bus von Sofia nach Nis (und weiter nach Belgrad) gefahren bin. Diese Fahrt führte zwar über eine gute ausgebaute Autobahn, war aber saulangweilig. Wie viel spannender ist da doch die heutige Bahnfahrt, bei der man auch etwas von den durchfahrenen Orten sieht: Ziegen im Hintergarten, schlafende Hunde auf dem alten Verladegleis, salutierende Bahnhofsvorsteherinnen, alte Eisen(bahn)brücken, und jetzt also diese faszinierende Schlucht.
Der Nachtzug wartet nicht
Um 20:10 Uhr hätten wir in Sofia ankommen sollen. Dass der Zug nicht,
wie Fahrkarte und Reservierung versprochen hatten, in die Türkei
weiterfährt, war uns mittlerweile klar. Aber wird der Nachtzug
wenigstens auf uns warten? Wir erreichen Sofia nämlich erst um 21:58
Uhr, also mit fast zwei Stunden Verspätung.
Bei der Ankunft im dunklen Hauptbahnhof von Sofia stehen auf den anderen
Gleisen zwar mehrere Züge, aber keiner sieht aus wie ein
abfahrtbereiter Nachtzug. Wir rennen zum Informationsschalter, wollen
wissen, ob der Zug Richtung Istanbul schon weg ist – aber Auskünfte zu
internationalen Zügen gibt es nur ein Stockwerk weiter oben. Wir rennen
nach oben, finden den internationalen Auskunftsschalter – und erfahren,
dass der Zug tatsächlich nicht gewartet hat. Nächste Reisemöglichkeit in
die Türkei? 24 Stunden später, also morgen um 21 Uhr. Das hieße, eine
Übernachtung in Sofia finden zu müssen. Bevor wir die suchen, suchen wir
den Busbahnhof.
Wir finden die Busabfahrtsstellen nicht auf Anhieb, aber wir finden
tatsächlich einen Bus, der heute Abend noch Richtung Istanbul startet.
Huntur heißt der Anbieter, um 22:30 Uhr startet der Bus, das Ticket
kostet 90 Lew. Wir haben aber natürlich keine Lew. Und Kartenzahlung ist
nicht möglich. Also brauchen wir die vierte Währung innerhalb von 48
Stunden. Wo ist der nächste Geldautomat? Angeblich im Bahnhof. Ich renne
wie ein Bekloppter zurück zum Bahnhof. Ich suche. Ich finde. Ich schwitze. Ich renne zurück zu Arnika, meinem Pass und dem Fahrkartenverkäufer. Es ist 22.23 Uhr. Noch 7 Minuten bis zur Abfahrt. Alles easy. Einatmen,
Ausatmen, alles aus dem Rucksack suchen, was man in der Nacht brauchen
könnte, rüber zum Bus, Einsteigen, Entspannen. Wir schaffen es also
doch, morgen früh in Istanbul zu sein. Wenn auch nicht mit dem Zug, für
den wir eine Fahrkarte gehabt hätten. Lesson learned: Auf dem Balkan immer vor Ort Tickets kaufen, vorher buchen bringt gar nichts.
Wir finden tatsächlich einen Bus, der heute Abend noch Richtung Istanbul startet. |